Claus Peymann faltet das leere weiße Hemd

Altmeister des Theaters in Berlin wettern gegen die Kulturpolitik ihrer Hauptstadt. Ein Abgesang.

Als Claus Peymann das Theater schuf und Gott die übrige Welt, sahen sie, dass es gut war. Inzwischen aber hat sich die Schöpfung als menschliche Enttäuschung erwiesen, und selbst in der Welthauptstadt der darstellenden Künste, in deren Epizentrum das Berliner Ensemble ruht, wird es schön langsam wüst und leer. Peymann, der Intendant des legendären Theaters am Schiffbauerdamm, ist inzwischen 77. Auch sein östlicher Nachbar Frank Castorf, der Berserker von der Volksbühne, nähert sich dem Rentenalter. 2017 müssen sie die Macht über ihre Theater abgeben. Solche Kontrollverluste stimmen depressiv. Ältere Semester im Komödien-Kombinat des Gegengiftes können das sogar ein wenig nachfühlen.

Wen wundert es also, dass beide Herren den satanischen Mächten Berlins offenherzig zürnen? Die mittelgroße Koalition aus SPD und CDU ist anscheinend so kunstlos wie der Sand Brandenburgs. In der Fastenzeit war Castorf dran. Er warf im Wochenblatt „Die Zeit“ Berlins Kulturpolitikern „Nichtprofessionalität“ und fehlendes Wissen vor, ihnen mangle es an Grundkompetenz. Peymann wurde in der Karwoche konkreter: Er bezeichnete in einem offenen Brief an den regierenden Bürgermeister Michael Müller dessen Kulturstaatssekretär Tim Renner als „die größte Fehlbesetzung des Jahrzehnts“. Nach Ostern hat der streitbare Theatermann nun, ebenfalls in der „Zeit“, zu einem Rundumschlag angesetzt: „Der Renner muss weg!“

Die Todsünden des Mannes, der aus dem Musikbusiness kommt: Er sei ein Nichtkenner, Nichtkönner, Nichtwisser. „Die Deppen, die die Literatur zerstört haben, zerstören jetzt das Theater“, mutmaßt Peymann. Renner will angeblich den belgischen Manager Chris Dercon, Chef der Londoner Tate Gallery of Modern Art in London, zum Nachfolger Castorfs an der Volksbühne machen. Ist das ein weiterer Schritt hin zur Eventkultur, wie Peymann vermutet? Solche Phantome schmerzen Traditionalisten.

En passant bekommen die Dichterin Elfriede Jelinek („Ich war mal sehr mit ihr befreundet, aber inzwischen produziert sie ja nur noch Textflächen“) und der designierte BE-Chef Oliver Reese verbale Prügel: Der unterscheide sich äußerlich nur unwesentlich von Renner, verkörpere denselben Phänotyp. Was empfindet Peymann bei solch Schickimicki–Lebenszwergen? „Man sitzt einem leeren, netten weißen Hemd gegenüber.“

Letzteres hat uns einfache Arbeiter im Weinberg des Gegengiftes, die Freitags aus Lässigkeit keine weißen Hemden tragen, schockiert. Die sind doch ein reines Statussymbol für hohe Herren. Wir kennen schmutzige Hemden aus der Traumdeutung, sogar zerrissene, aber worauf spielt der letzte Weise mit der weißen Leere an? Tod? Auferstehung? Neuschöpfung? Einstweilen bleibt diese hochkultivierte Feststellung für uns ein Enigma.

Vielleicht gibt es beim Dichter Peter Handke eine Lösung der Hemdenfrage. Im Februar 2016 soll sein Stück „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ vom Burgtheater uraufgeführt werden. Regisseur: Claus Peymann. Im Text wettert einer vom Hochsitz aus über zufällige Passanten. Wer weiß, möglicherweise übt der Intendant des BE mit seinen Wutreden bereits für das feierliche Event nächstes Jahr in der wahren Theatermetropole.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2015)

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