25 Prozent der Stimmberechtigten reichten für die Absolute

Die Briten lieben klare Entscheidungen. Hoffentlich kommt jetzt nicht Bürgermeister Häupl auf neue Ideen zum Wiener Wahlrecht.

David Cameron hat nach dem paradoxen Sieg seiner konservativen Partei bei den Unterhauswahlen am Donnerstag ein großes Wort gelassen ausgesprochen. „Wahlen können verletzende Zusammenstöße von Ideen und Argumenten sein“, sagte der Premierminister an diesem Freitag, an dem er auch der Queen seine Aufwartung machte. Sie wird sich auf absehbare Zeit weiterhin mit Cameron regelmäßig treffen. Seit Churchill tauscht sie sich mit jedem Premier stoisch und majestätisch aus.

Weniger Gleichmut zeigten die glücklosen Konkurrenten des Regierungschefs. Nick Clegg, Chef der liberaldemokratischen Koalitionspartei, Oppositionsführer Ed Miliband von Labour und Nigel Farage, der Anführer der Anti-Europa-Bewegung UKIP traten spontan am selben Tag zurück. Nicht einmal Nicola Sturgeon von der Schottischen Nationalpartei kann sich freuen. Die SNP hat zwar 56 von 59 für sie möglichen Mandaten errungen, aber nach Sturgeons Einschätzung sitzen ihre Landsleute im falschen Haus.

Die undankbarste Aufgabe hat jedoch Boris Johnson. Der Bürgermeister von London errang in Uxbridge einen Unterhaussitz und wirkte so am Erfolg der Tories mit. Eigentlich wollte er sich als Nachfolger Camerons positionieren, jetzt muss er über dessen Sieg pflichtschuldig jubeln. Schlimmer ist es nur den großen Meinungsforschungsinstituten ergangen. Wer derart falsch liegt, sollte sich beruflich verändern – vielleicht fallen ähnliche Schwächen der Prognose im Finanz- und Bankensektor weniger auf?

Für den anglophilen Fanclub im Gegengift, der sowohl Anhänger von Lloyd George, Wilson, Thatcher, Blair als eben auch Cameron akzeptiert, nur bei Gegnern der Firma im Buckingham Palace null Toleranz zeigt, gibt es erstmals Zweifel am britischen Wahlrecht: Funktioniert „first past the post“ nicht mehr, wenn das Empire in skurrile Bewegungen zersplittert? Wenn 36,9 Prozent der Stimmen für eine absolute Mehrheit ausreichen, dann ist ein Grenzwert erreicht. Wenigstens gehen noch knapp zwei Drittel der Briten zur Wahl, aber selbst in diesem Fall war nicht einmal ein Viertel der Stimmberechtigten für Cameron. Er kann dennoch eine Alleinregierung bilden. Das ist schon eine sehr exklusive Machtverteilung.

Selbst das Mehrheitswahlverfahren hat Schwächen. Hoffentlich findet Wiens Bürgermeister nicht heraus, wie das britische System funktioniert. Der überlistet glatt die Grünen mit noch einer Novelle. Die Folgen wären katastrophal. Döbling könnte sich abspalten, wenn Michael Häupl mit 28 Prozent die absolute Mehrheit erhielte – eine weitere „splendid isolation“.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2015)

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