Mit Glanz und Gloriette feiern wir die Fassaden der Kunst

Der Kanzler weiß, was wesentlich für die Kultur ist – die Kulisse. Und dann erlauben sich die Wiener Festwochen fast leere Bühnen?

Die Wiener Festwochen 2015 hatten einen fantastischen Start: Es regnete diesmal nicht beim traditionellen Sommernachtskonzert der Wiener Philharmoniker in Schönbrunn, zu dem das Festival bei seiner Eröffnung diesmal ausweichen musste, weil der Rathausplatz für Höheres reserviert war – für die Vorbereitung des Life Ball und sogar des Eurovision Song Contest 2015,der Vienna nächste Woche endgültig zur Welthauptstadt Europas machen wird.

Strahlende Großereignisse werfen lange Schatten, also hat es sich selbst der Bundeskanzler nicht nehmen lassen, beim Empfang im kaiserlichen Schloss höchstpersönlich zu verkünden, was dieses Land kulturell ausmacht: „Österreich ist für seine großartigen Konzerte vor wunderschönen Kulissen wie Schönbrunn oder dem Wiener Rathaus in der ganzen Welt bekannt“, hat Werner Faymann gesagt, der allerdings darauf verzichtet hat, die Sängerknaben, Sachertorten und Lipizzaner direkt in dieses Landesgesamtkunstwerk einzubinden. Das scheint ohnehin evident, denn, so der Mann, der hinter hübscher Fassade am Ballhausplatz regiert: „Kunst und Kultur verbindet Völker in ganz Europa, sowohl in ihren Unterschieden als auch in ihren Gemeinsamkeiten.“

Ja, der Rathausplatz mit seinen saisonal bedingten Events und fast immerwährenden Schnapshütten ist etwas Einmaliges in Europa, vor dem vergleichsweise diskreten Bühnenbild der Ringstraße. Diese sollte in manchen Abschnitten aus Aktualität wenigstens nominell aufgemotzt werden. Wer braucht einen Universitäts- oder Renner-Ring? Es gäbe geilere Namen.

Mit letzterer Bemerkung möchten wir armen Kulturkritiker im Gegengift, die jedes Jahr beim Glockenläuten für die lokalen Festwochen helfen dürfen, nur davon ablenken, dass uns der Regierungschef beschämt mit seiner präzise-barocken Definition von dem, was wesentlich ist in der Kunst – der Hintergrund für die großen Auftritte, die Inszenierung der Macht.

Weil wir es also bisher schmählich versäumt haben: Worauf muss der empfindsame Zuseher bei den Aufführungen in diesem Jahr besonders achten? Was für Bilder erwarten uns?

„Die Bühne ist ein freier Platz im hellen Licht“, befiehlt Peter Handke in seinem Schauspiel „Die Stunde da wir nichts voneinander wussten“. Das passt doch wie die Fackel aufs Aug' bei diesem Stück, das 23 Jahre nach der Uraufführung im Theater an der Wien nächste Woche wieder zu den Festwochen zurückkehrt. Inzwischen ist Handkes Drama laut Programm zum „poetischen Weltentwurf des Flüchtigen“ gewachsen. Am Ende wird der Platz ins nächtliche Dunkel tauchen.

Das bereitet die passende Grundstimmung für Anton Tschechows „Die Möwe“ Ende Mai in einer Zagreber Inszenierung: „Aus einer tiefen, stillen und fast leeren Bühne tauchen Menschen auf, erfüllt von Leidenschaften, aber unfähig, diese zu leben.“ Wahrscheinlich kann man nach dieser Anweisung weder ein schmuckes Landgut noch Birken oder gar nur eine tote Möwe erwarten, eher wohl einen frugalen Umgang mit Requisiten.

Hat denn niemand bei den Wiener Festwochen begriffen, was der Kanzler wünscht? Wir fordern Bühnen, die zumindest den ephemeren Eindruck erwecken, dass sich die Veranstalter um eine matte Widerspiegelung der wunderschönen Kulissen Wiens bemühen, die in der ganzen Welt bekannt sind. Gefragt ist mehr €-Vision in der Kunst, mehr Glanz und Gloriette, die von den unbequemen, dunklen Fragen alter und neuer Meister ablenken.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2015)

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