Nur ein Flirt? Sexangebote aus dem Innersten der Macht

Hacker haben die Daten eines beliebten Dating-Portals veröffentlicht. Das ist nicht nett. Aber enthüllt wird auch Schlimmeres: Naivität.

Mitten im fast noch überhitzten August ist in der Ethikkommission des „Gegengifts“ ein Richtungsstreit ausgebrochen: Sollen wir uns darüber erregen, dass 32 Millionen libertinär gesinnte MitbürgerInnen das Netzportal des kanadischen Anbieters Ashley Madison nutzten, um ihrem Hobby der spontanen, unverbindlichen zwischenmenschlichen Beziehung nachzugehen? Oder sollen wir verurteilen, dass zügellose Hacker die Daten dieses Dienstleisters, der zuvor mit Diskretion geworben hat, im Internet veröffentlicht haben? So viele Millionen Namen samt Adressen, Kreditkarten, et cetera könnten für all die mutmaßlich Betrogenen und vor allem auch für Anwälte von gewissem Interesse sein. Aber für die entblößte Firma und ihre willigen Kunden ist die massive Betriebsstörung auf Online ein Desaster. Darf man denn das?

Unsere Abteilung für Theatralisches und für Kleinkunst, die dem Leben der Bohème nicht abgeneigt ist, hält solche Entscheidungsfragen für sekundär. Wer sich regelmäßig nächtens mit einer gewissen lüsternen Erwartung in Burg- und Volkstheater oder gar der Josefstadt sowie dem Rabenhof herumtreibt, weiß aus dem Erfahrungsschatz dieser darstellenden Künste, wie verheerend böswillig platzierte Taschentücher, vergessene Briefe oder gar ein falsch verlegter French Letter sein können. Das Drama lebt vom Sex noch stärker als vom Tod. Was uns aber in der fatalen Affäre aus Übersee verblüfft, ist die Naivität, mit der selbst jene im Netz surfen, die es besser wissen müssten.

Ein ausgewiesener Hotspot für diese aufgedeckte Partnervermittlung ist Washington D.C. Eine beträchtliche Zahl der potenziellen Lover dürften Schreibtischhengste und -stuten aus US-Ministerien in der Hauptstadt sein. Und die haben häufig nicht einmal ihre privaten Accounts benutzt, sondern ihre höchstoffiziellen. Für Empfänger solch amtlicher Post musste es also wirken, als ob sie von polymorph-perversen Zweigstellen des Weißen Hauses bürokratisch zum Beischlaf aufgefordert würden.

Die Vorstellung ist sogar reizvoll. Sie bestätigt unsere Vermutung, dass mit Macht und Trieb zusammenwächst, was zusammengehört. Wir wollen aber nicht kleinlich sein und uns darüber aufregen, dass in solchen Fällen der Steuerzahler für das rein private Vergnügen seiner Staatsdiener aufkommt. Wer im Büro noch nie „Cat Mario“ oder „Sim City“ gespielt hat, der werfe den ersten Slip.

Verunsichert hat das lokale Sicherheitsbüro im „Gegengift“ hingegen, dass recht viele der weltweiten Adressen, die nun gehackt wurden, ins Innerste des Hegemonen führen – ins Pentagon, zu US-Geheimdiensten und mitten in die NSA, die angeblich auch für Sicherheit zuständig ist. Muss sie jetzt in Nationale Stenz-Agentur umbenannt werden? Oder diente der Einsatz an der Sexfront gar einem höheren Zweck, den unbedarfte Bürger noch gar nicht begriffen haben?

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2015)

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