Schlechte Zeiten für negative Utopien im Wiener Volkstheater

Die Uraufführung von Ibrahim Amirs „Homohalal“ wurde abgesagt. Situationsbedingt, verlautete aus der Direktion. Ein schwaches Argument.

Es gibt vernünftige Gründe dafür, eine Uraufführung abzusagen: Das gelieferte Drama gefällt der Theaterleitung nicht. Autor und Regisseur zerstreiten sich. Die Schauspieler meutern, weil sie den Text oder die Inszenierung nicht nachvollziehen können. Das Projekt wurde nicht fertig. All das wäre plausibel für diesen dramatischen Schritt. Fadenscheinig aber argumentiert, wer bloß aus Rücksichtnahme auf Befindlichkeiten von Dargestellten eine Premiere verhindert. Dann dürfte man weder „Der Kaufmann von Venedig“ noch „Der Stellvertreter“ geben, Thomas Bernhard hätte für jedes angriffslustige Stück naturgemäß einen Rauswurf erhalten. Stattdessen würde man auf der Bühne als rein moralischer Anstalt sanft über die Schlechtigkeit der Welt klagen.

Was also steckt hinter dem aktuellen Beschluss der Leitung des Volkstheaters, die letzte Premiere der Saison, „Homohalal“ von Ibrahim Amir, nicht aufzuführen, stattdessen ab 22. April Neil Simons „Brooklyn Memoiren“ zu geben? Ein Stück, das in sicherer Entfernung in New Yorks Dreißigerjahren spielt und sich „auf andere Weise zum Thema Migration“ verhält?

Die Begründung für die Spielplanänderung klingt wie eine Ausrede: „Seit die große Fluchtbewegung aus Syrien und dem Irak Mitteleuropa unübersehbar erreicht hat, haben sich die Vorzeichen für eine Inszenierung von ,Homohalal‘ verändert. Der öffentliche Diskurs über Geflüchtete ist zurzeit stark von Angst und Hass geprägt. In dieser Situation ist eine Dystopie – so vielschichtig und komisch sie im Fall von ,Homohalal‘ sein mag – kein geeignetes Mittel zur Auseinandersetzung mit der Zukunft schutzsuchender Menschen in Österreich.“

Für ein Haus, das derzeit bei anderen Themen gar nicht zimperlich ist, wirkt das sensibel. Werden nun in prekärer Wirtschaftslage auch Stücke abgesetzt, die Banken kritisieren? Amir, so hatte es unlängst noch hoffnungsfroh geheißen, wage einen Blick in die Zukunft von Flüchtlingen und ihren Helfern. Sein Stück spiele zwanzig Jahre nach dem „Refugee Protest Camp“ vor der Votivkirche in Wien 2013. Erneut kämen Aktivisten und Geflüchtete von damals zusammen: „Was als harmlose Party beginnt, entwickelt sich voll Wiener Witz, entlang von kaum verpassten Fettnäpfchen und emotionalen Tretminen, zu einem Showdown, in dem das Private politischen Zunder birgt und das Politische bis tief ins Privateste einfährt“, verkündete das Volkstheater-Programm.

Inzwischen konnte man auch erfahren: Die Flüchtlinge im Stück sind reaktionär, die Einheimischen korrekt. Amir schätzt offenbar Paradoxa, wie sich schon bei seinem Debüt zeigte. Für „Habe die Ehre“, im Theater Nestroyhof Hamakom 2013 uraufgeführt, hat der aus einer kurdischen Familie stammende, im syrischen Aleppo geborene, nun in Wien lebende junge Arzt einen Nestroy-Preis erhalten.

Im Volkstheater hingegen erweckt man den Anschein präventiver Selbstzensur. Einige Fragen hätten wir dazu schon: Wann, wenn nicht jetzt, sollten mutige Künstler das Thema Flucht thematisieren? Wer wird hier eigentlich vor wem geschützt? Ist denn die Wahrheit, wie dieser Dramatiker sie sieht, zuweilen nicht zumutbar? Sind all die Schutzerflehenden (falls sie im Volkstheater unter günstigeren Vorzeichen wieder thematisiert werden dürfen) nur als Opfer darzustellen, für die man nichts als Verständnis aufbringen darf? Oder ist das Stück bloß schwach? Antworten willkommen.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2016)

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