Mitten im August ertönt ein ferner Klang: „Geist ist geil“

Alpbach
AlpbachAPA/ROBERT PARIGGER
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Die Wege zur Aufklärung sind manchmal so gewunden wie jene in einem engen Alpental. Denn wer wird immer auch denken?

Von einem angenehmen Ausflug in den freien Westen mit erhellenden Gedanken über den inzwischen selbst in Salzburg beliebten Thomas Bernhard bin ich am Freitag ins Büro nach Erdberg zurückgekehrt. Es stellte sich bei mir aber nicht vertrautes Heimatgefühl ein, sondern ein Horror Vacui der übelsten Leere.

All die dynamischen jungen Kräfte des „Gegengifts“ in der Abteilung für das Wahre, Gute und Schöne waren ausgeflogen, um noch viel weiter hinten in den Alpen in einem Dorf mit dem logischen Namen Alpbach das scharfe Denken zu pflegen. Die Spitzen in der Umgebung dort haben beeindruckende Namen wie Großer Galtenberg, Widersberger Horn oder gar Sonnenjoch. Wen wundert es also, dass man sich bei so viel lichter Höhe beim Europäischen Forum Alpbach auf die Spur der Neuen Aufklärung begibt?

Am Rande des Balkans, komme ich mir nun, vom Neid geblendet, zurückgeblieben vor. Nein, als Laie werde ich jetzt nicht, wie das von ordentlichen und unordentlichen Professoren in solch einem Fall fast automatisch praktiziert wird, Immanuel Kant zitieren. Dieser hat 1784 in einem populärwissenschaftlichen, leicht fassbaren Aufsatz in der „Berlinischen Monatsschrift“ eine so kritische wie praktische „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ geliefert. Kant riet allen Mitbürgern, die das auch verstehen wollten oder konnten: „Sapere aude!“ Im Abendrot der Vernunft würde ich das für lebenslustige Alpbacher sinngemäß mit „Geist ist geil“ übersetzen.

Hier aber, in den Niederungen des Wiener Beckens, überfällt mich nach dem Schrecken vor der großen Leere plötzlich eine beinahe orientalische Müdigkeit. Wird das wilde Wagnis des Denkens nicht von manchen Zeitgeistern übertrieben? Könnte es unter Umständen nicht sogar bleibende Schäden hinterlassen? Eine Überhitzung des Gehirns bei zu viel Engagement für den Fortschritt, der allemal kleiner ist, als er ausschaut? Ich hole die Xenien zu Hilfe, die bei mir im Musen-Almanach herumlungern. Sie flüstern mir zu: „Denk' ich, so bin ich! Wohl! Doch wer wird immer auch denken? Oft schon war ich und hab' wirklich an gar nichts gedacht!“

Das ist ein sympathisches Dichterwort, besonders zum Wochenende hin, nach nicht zu unterschätzenden Anstrengungen im Broca-Areal wie im Wernicke-Zentrum. Ich schließe einen Kompromiss, der neue und alte Aufklärung hoffentlich versöhnt. Als Wochenendlektüre nehme ich nicht nur einen brandaktuellen Weltverbesserer mit, sondern zwei Klassiker, die bei aller Liebe zur Vernunft deren Schattenseiten kennen: Voltaires „Candide ou l'optimisme“ und Laurence Sternes „The Life And Opinions of Tristram Shandy, Gentleman“. Die Wege zur Aufklärung sind manchmal so gewunden wie jene in einem engen Alpental.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

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(Print-Ausgabe, 20.08.2016)

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