„Neuwahlen“ steht verharmlosend für „Wir können nimmer!“

Vielleicht wird eher der Osterhase einen neuen Bundeskanzler als das Christkind einen unbeschädigten Bundespräsidenten bringen.

Die strengen Kontrollbehörden im „Gegengift“ haben mich darauf aufmerksam gemacht, dass ich noch Resturlaub zu verbrauchen habe, ehe mir der Neu-Urlaub zugeschlagen wird. Ich zögere noch. Ferien mitten im schrecklich goldenen Herbst? Zuletzt habe ich das aus familiären Gründen im Jahr 2000 gemacht. Es waren anstrengende, aber glückliche Tage. Kurz darauf wurde George Walker Bush junior Präsident der USA.

Ich will ja nicht mutwillig einen kausalen Zusammenhang zwischen meinen Freizeitgewohnheiten und der Weltpolitik herstellen, aber wie steht einer da, der demnächst länger zum Entspannen auf die Bermudas fliegt und bei der Rückkehr nicht nur erfährt, dass der neureiche Berserker Donald Trump im Weißen Haus sitzt, sondern auch ein völlig neuer Altpolitiker ähnlichen Stils am Ballhausplatz?

Es würde mich reuen. Im aufgeheizten innenpolitischen Klima, das von Klebstoffhäme, Keynesianismus und Küniglberg-Intrigen geprägt ist, muss man derzeit mit dem Schlimmsten rechnen. Das Wort Neuwahl wird seit dem Frühsommer noch häufiger verwendet als der utopische Begriff Neubeginn, öfter sogar als spontan hinausgebrüllte Parolen wie „Genug gespart!“ oder „Es reicht!“ Meinem Gefühl nach wird eher der Osterhase einen neuen Bundeskanzler als das Christkind einen unbeschädigten Bundespräsidenten bringen. Noch ist vielleicht etwas Zeit, doch kommt bei mir trotz Restanspruch kein Holiday-Feeling auf.

In dieser Phase der allgemeinen Unsicherheit frage ich mich dringend, wer den Begriff Neuwahl überhaupt erfunden hat und was er denn bedeutet. Gibt es eine Altwahl als Alternative? Nein. Das Wort neu, das in so vieler Hinsicht positiv besetzt ist, hat vor der Wahl fast ausschließlich negative Konnotationen. Neuwahlen gibt es nur, wenn die alte Wahl nicht rechtmäßig war, wenn es zu entscheidenden Unregelmäßigkeiten gekommen ist oder, was beinahe noch schlimmer wäre, wenn Koalitionspartner (aus welchen Motiven auch immer) nicht wie geplant weitermachen wollen.

Lassen wir uns nicht täuschen. „Neu“ ist in diesem Fall ein Euphemismus, im Grunde handelt es sich um vorgezogene Wahlen, weil die Regierung alt aussieht. Jäh wird die Legislaturperiode allzu früh beendet und das Parlament vorzeitig aufgelöst. Der Bundespräsident muss die Teilnahme am Zuckerbäckerball absagen und sich mit Leuten zu Sondierungsgesprächen treffen, die er vielleicht gar nicht leiden kann. Nein, so eine Neuwahl ist kein Honigschlecken, sondern oft eine Überforderung für den Innenminister und seine Wahlzettelkleber.

Ich habe mich erkundigt. Hoch oben in Tirol soll man bereits Ski fahren können. Das wäre doch der rechte Urlaub zur Gewöhnung an Eiszeiten.

E-Mails an:norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2016)

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