Der anarchische Kampf der Kulturen: Print, Copy and Paste

Als Computer noch unhandlich waren und es noch kein Breitband für alle gab, blieb Online in Zeitungen das Hobby vereinzelter Exoten.

Vor mehr als 20 Jahren, Österreich war eben in die EU aufgenommen worden, habe ich in rascher Folge bei drei Tageszeitungen gearbeitet, just in jener Umbruchzeit, als Printmedien damit begannen, sich für Onlineversionen zu interessieren. Der Impuls ging nicht von Chefredaktionen oder gar Verlagsleitungen aus, sondern von einzelnen Mitarbeitern, die Utopien für machbar hielten. Sie drängten zögernde Chefs dazu, „auch einmal was“ mit dem World Wide Web zu versuchen, das als exotisch galt und im Vergleich zu heute geradezu zwergenhaft aussah.

In einer dieser drei Zeitungen kam die Anregung zur medialen Ausweitung vom Archiv. Dessen Onlineversion bestand darin, bereits in Print verfertigte Texte mit geringem Aufwand gratis ins Netz zu stellen, eine Art "Copy and paste" für Arme also. Kosten sollte der Versuch so wenig wie möglich. Im zweiten Blatt drängte ein außenpolitischer Redakteur auf Innovation, er hatte erkannt, wie fantastisch die rasante neue Art der Informationsbeschaffung sein konnte. Auch in seiner Redaktion wurde diese Nebentätigkeit nur geduldet. Sie sollte am besten umsonst sein.

Die dritte Zeitung behandelte den digitalen Eindringling so, als ob er gegen die Standesehre verstieße. Als der Verlag sich doch darüber Gedanken machte, dachten dessen Strategen immerhin darüber nach, wie man Online am besten kommerzialisieren könnte: Leser sollten dafür bezahlen, wenn sie das elektronische Archiv des Unternehmens nutzten. Daraus aber wurde nichts, nicht einmal in jener Zeit, als es Wikipedia noch gar nicht gab. Die Bedenken der Unternehmer hatten ihre Logik. Das Netz wurde auch „World Wide Wait“ genannt, der Datenfluss erfolgte äußerst langsam, es gab noch keine Smartphones oder Tablets. Online war ärgerlich umständlich.

Diese drei Zeitungen sind typisch für die Entwicklung der Tagespresse. Dort ist man noch immer auf der Suche nach einem funktionierenden neuen Geschäftsmodell: Ihr bewährtes Produkt – von vielen Spezialisten erarbeitete, konzentrierte Informationen in gedruckter Form, für die der Leser einen seriösen Preis bezahlt – wurde ergänzt oder abgelöst durch den Wilden Westen des Webs, in dem alles gratis zu sein scheint und Claims sich ständig ändern. Gewissermaßen herrscht dort ein labiler Zustand der Anarchie.

Klassische Tageszeitungen haben bis heute Probleme mit diesem für sie existenzgefährdenden Umbruch, der im Extrem zuweilen noch immer wie der Zusammenprall zweier sich fremder Kulturen erscheint. Eine Synthese, die Tugenden und Vorteile beider Systeme vereint, ist erst im Entstehen.

Den meisten Gewinn aus der Onlinebranche haben bisher jedenfalls nicht traditionelle Zeitungen gezogen, sondern Firmen, die neue Technologien nutzen, um Konsumenten auszuforschen und deren Gewohnheiten zu kommerzialisieren. Das hat US-Konzernen wie Google, Amazon, Facebook Milliarden an Kunden und Cash gebracht. Diese Entrepreneure wussten trotz anderslautender Botschaft von Anfang an ganz genau: „There ain't no such thing as a free lunch.“

E-Mails an:norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2016)

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