Hätte Le Corbusier auch für Hitler gebaut?

Zum 50. Todestag des Schweizer Architekten wird auch seine Nähe zum Faschismus ein Thema. Er sympathisierte mit Mussolini und Hitler.

Die Schweiz rüstet sich, Frankreich ebenso: Im Sommer ist es ein halbes Jahrhundert her, dass Charles-Édouard Jeanneret-Gris starb, den man als Le Corbusier kennt und als einen der größten Architekten des 20. Jahrhunderts. Wie oft bei solchen Jubiläen wird der Jubilar nicht nur in den Himmel gehoben, sondern auch zum Dämon erklärt. In Frankreich versetzen vor allem zwei Veröffentlichungen der monumentalen Jubiläumsarchitektur hässliche Kratzer: Xavier de Jarcys Buch „Le Corbusier. Un fascisme français“ („Le Corbusier. Ein französischer Faschismus“) und François Chaslins „Un Corbusier“.

Letzterer Titel ist ehrlich und gut: Nicht „Le“, also „der“ Corbusier, sondern „ein“ Corbusier wird da vorgestellt. Er applaudierte Mussolini und später Marschall Pétain. Corbusier hoffte, der große Architekt des französischen Staats zu werden. Im März 1941 traf er einen hochrangigen Beamten des Vichy-Regimes, jenen, der, wie er schrieb, „die Macht hat, über die Baupläne in ganz Frankreich zu befinden“. Sogar Pétain, schrieb er in einem Brief, habe ihm volle Unterstützung versichert. Corbusier zog sogar nach Vichy, er fühlte sich dem nah, wofür er seit zwei Jahrzehnten gekämpft hatte. Um seine großen Visionen von radikal neuen Städten zu verwirklichen, brauchte er die Mächtigen, ja, sie konnten ihm gar nicht mächtig genug sein. Der Rest der Politik kümmerte ihn nicht.

Corbusier schätzte auch einiges an Hitler. Schon Ende Oktober 1940, nachdem Pétain die „collaboration“ mit Deutschland verkündet hatte, schrieb er seiner Mutter: „Wenn es ihm mit seinen Ankündigungen ernst ist, kann Hitler sein Leben mit einem großartigen Werk krönen: der Neugestaltung Europas.“

Wie sie architektonisch unter anderem ausgesehen hätte, kann man in der Ausstellung über NS-Architektur in Wien sehen, die derzeit im Architekturzentrum läuft. Sie wirft Fragen über die politische Vereinnahmung und Willfährigkeit von Architekten auf. Corbusier hätte im Krieg auch in seine Heimat, die Schweiz, zurückkehren können (dass er Schweizer war, verschwieg er vor den Vichy-Behörden). Was hätte er wohl getan, wäre er wie Albert Speer in Deutschland geboren worden? Hätte er versucht, der große Architekt Nazi-Deutschlands zu werden? Ist es unfair, Vermutungen anzustellen, wie es der Lausanner Architekturhistoriker Pierre Frey tat, als er über den „radikalen Theoretiker einer Art räumlichen Eugenik“ und „rabiaten Antisemiten“, sagte: „Le Corbusier hätte, ohne mit der Wimper zu zucken, auch für Hitler gebaut“?

Was wäre gewesen, wenn? Diese den meisten Historikern verdächtige Frage kann ihren begrenzten Sinn haben, auch wenn man sie nie wirklich wird beantworten können. Nicht etwa, um Menschen für Dinge verantwortlich zu machen, die sie nicht getan haben, aber um den Sinn für in guten Zeiten harmlos wirkende, unter bestimmten historischen Umständen aber gefährliche Grundeinstellungen zu schärfen. Vielleicht hatte (nicht nur) Corbusier einfach Glück, unter Hitler kein Deutscher zu sein.

anne-catherine.simon@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2015)

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