Abscheuliche Postings, abscheulicher Pranger

Die „Bild“-Zeitung hat Fotos und Klarnamen von Hasspostern veröffentlicht. Das ist scheinheilige Selbstjustiz.

Wieder also eine „Liste der Schande“: Was die griechische Regierung mit Steuersündern gemacht hat und die Hackergruppe Anonymous mit Kunden eines rechtsextremen Versandhauses, hat die deutsche „Bild“-Zeitung am Dienstag mit Verfassern von „Hasspostings“ getan. Einige Kommentare gegen Flüchtlinge und Migranten sind mit Foto und Klarnamen des jeweiligen Posters abgedruckt, sie sind wahrhaft abscheulich: etwa „wann gehen die viecher wieder?“, oder „Moslems sind schlimmer wie kakerlaken“.

Soll man den Redakteuren auf die Schulter klopfen, denen angeblich der Kragen gerissen ist („So viel offener Hass war nie in unserem Land! Und wer Hass sät, wird Gewalt ernten“), die so tapfer der Justiz unter die Arme greifen („Herr Staatsanwalt, übernehmen Sie!“)? Nur wenn man es mag, dass Journalisten Medienmacht aus- und Selbstjustiz üben, wie es ihnen einfällt. Im Vergleich zu ihrem „Pranger der Schande“ nämlich war der reale früherer Zeiten oft ein Paradies der Berechenbarkeit und Rechtsstaatlichkeit.

In der Regel bestimmten damals Behörden, wer daran gefesselt wurde und wofür, die Bevölkerung wusste ungefähr, womit sie bei bestimmten Handlungen zu rechnen hatte. Was nach dem Anbinden kam, war schon weniger berechenbar; schlug der empörte Mob zu, war der Prangerstehende am Ende tot. Und genau deswegen sind moderne Demokratien mit dem Instrument der Beschämung so vorsichtig geworden: Weil es nicht nur extrem effizient, sondern auch extrem gefährlich ist. Was zur öffentlichen Beschämung anderer eingeladene Menschen tun, lässt sich nicht kontrollieren, aus „kreativer Bestrafung“ (wie es in den USA euphemistisch heißt) kann maßlose Erniedrigung werden.

Zumal bei einer Beschämungsdosis wie jener, die die millionenfach gelesene „Bild“ den willkürlich ausgewählten „Hasspostern“ verpasst hat. Ebenso wenig ist kontrollierbar, wie Beschämte auf eine solche Dosis reagieren. Oft verhärten sie sich erst recht, sehen sich noch mehr als Opfer; und ähnlich Gesinnte, die schon immer zu wissen glaubten, dass es mit der Meinungsfreiheit nicht weit her ist, haben nun wieder einen „Beweis“ und gleich auch ein paar „Helden“ mehr.

Nicht Aufruf zum Eingreifen der Justiz, sondern scheinheilige Selbstjustiz, nicht Unterstützung der Staatsmacht, sondern Missbrauch von Medienmacht ist dieser „Pranger der Schande“. Als solcher sollte er genauso Abscheu wecken wie die anonymen Postings. Gegen die muss man Mittel finden, aber ganz sicher andere.

anne-catherine.simon@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2015)

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