Wer ist Hollandes „verratener Gott“ – etwa der Satan?

Vom „Gottesverrat“ sprechen schon genug religiöse Hardliner, Frankreichs Staatspräsident nun auch. Damit spielt er das Spiel der Terroristen.

Den Kopf kosten kann es in Saudiarabien, wenn man Allah verhöhnt; ob man das getan hat, entscheiden Gerichte, wie beim Dichter Ashraf Fayadh, der zuerst zu 800 Peitschenhieben und nun zum Tod verurteilt worden ist. Neben der Beleidigung ist auch der „Verrat“ Gottes als Vorwurf beliebt, vor allem bei religiösen Hardlinern. Umso befremdlicher, dass am Freitag Frankreichs wahrlich nicht als gläubig bekannter Staatspräsident vom „verratenen Gott“ sprach: „Eine Mörderbande hat 130 der Unsrigen getötet, im Namen einer verrückten Sache und eines verratenen Gottes“, sagte er bei der Trauerfeier für die Opfer der Paris-Attentate.

Einen Gott, den es nicht gibt, kann man nicht verraten. Wer Gott verraten glaubt, glaubt nicht nur an Gott, sondern auch zu wissen, was dieser Gott will und nicht will.

Die Keule Gottesverrat wird in gewissen christlichen Kreisen genauso geschwungen wie in gewissen muslimischen; dort werden wahlweise Nichtmuslime damit attackiert oder sich unerwünscht verhaltende Muslime. Besonders oft trifft es Juden. Dabei berufen sich die Ankläger auch auf das Alte Testament: Die Propheten könnten ja ein Lied davon singen, dass das Volk der Juden immer schon Gott verraten habe, mit seiner Untreue, Verkommenheit und Gier. . .

Für den Vorwurf des jüdischen Gottesverrats hat das Christentum die Steilvorlage geliefert. Als Gottesverräter par excellence gilt Judas Ischariot, deswegen spielt auch in keiner anderen Religion das Motiv des von Hollande angesprochenen „dieu trahi“, des „verratenen Gottes“, eine derart große Rolle.

Ist es deswegen in die Rede des französischen Staatspräsidenten gerutscht? François Hollande, Kind einer linkskatholischen Mutter, ist lang bei den Schulbrüdern in Rouen in die Schule gegangen. Später hat er als Politiker das Thema Religion stets peinlichst vermieden und keinerlei Interesse daran bekundet. Doch einer, der als Kind so im Katholizismus gebadet hat, kann schon einmal zu vertrauten religiösen Formeln greifen. (Oder nichts dagegen haben, wenn Redenschreiber sie vorschlagen.) Vor allem nicht in der großen Krise, in der es große Worte braucht.

Ob er aber selbst wusste, was er damit meint? Die Attentäter hätten „im Namen eines verratenen Gottes“ gehandelt – das ist zweideutig; wer hat nun Gott verraten, die Attentäter (Hollande zufolge) oder die Opfer der Attentäter (den Attentätern zufolge)?

Vermutlich wollte Hollande einfach eine Botschaft an Frankreichs unter Druck geratene, gläubige Muslime senden: Der Gott der Attentäter sei nicht mit dem Gott der Muslime gleichzusetzen; die Terroristen würden den Islam verraten. Oder spielt der „verratene Gott“ am Ende auf ein Gedicht Baudelaires an? Darin besingt der Dichter den „herrlichsten der Engel“, den „verratenen Gott“. Und meint damit Satan.

Aber ganz gleich, ob Allah oder Satan – die Rede eines säkularen Politikers gegen eine Mörderbande sollte ohne Gott und Teufel auskommen, gerade jetzt. Es ist verführerisch, die Spielfiguren der Terroristen gegen sie zu wenden. Aber es bleibt deren Spiel. Besser ist, es gar nicht mitzuspielen.

Emails an: anne-catherine.simon@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2015)

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