NS-Propaganda, Terror und die Angst vor dem TV-Publikum

Olympia 1936 - Der verratene Traum
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Leni Riefenstahls Film „Olympia“ und Ferdinand von Schirachs Fragen zum Terror: zu gefährlich für die unmündigen ORF-Zuschauer?

Artistically she is a genius, and politically she is a nitwit“ (Dummkopf), schrieb Filmhistoriker Liam O'Leary über Leni Riefenstahl – die berühmteste aller deutschen Filmemacherinnen, aus rühmlichen wie unrühmlichen Gründen, und egal, ob man sie politisch für dumm, böse oder beides hält. Von ihrem NS-Propagandafilm „Olympia“ über die Spiele 1936 in Berlin kann man am Samstagabend auf ORF III selbst einen Eindruck gewinnen – indem man ihn nicht häppchenweise, wie sonst in Zeitgeschichte-Dokus serviert, sondern in voller Vier-Stunden-Länge auf sich wirken lässt; in restaurierter Fassung, also auch anderer Qualität als etwa auf YouTube zu sehen.

Korrigiere, man hätte können: Die Rektorin der Akademie der bildenden Künste und ORF-Publikumsrätin, Eva Blimlinger, beschwerte sich, der ORF sei „nicht dazu da, unkommentiert NS-Propagandafilme zu zeigen“. Prompt wurde die für 15 Minuten geplante Experteneinführung verlängert; zudem wird der Film nun ab und zu von erklärenden Kommentaren unterbrochen.

Natürlich kann man in einem Mini-Intro wenig Tiefsinniges über Ästhetik und Propaganda in Riefenstahls Nazi-Auftragswerk vermitteln, geschweige denn wirklich interessante Fragen behandeln wie etwa jene von Blimlinger angeregte: Welche ästhetische Wirkung hatte und hat der Film auf die Sportberichterstattung? Aber das ist hier nicht die Frage: Weil es nicht um ein Entweder-oder geht oder darum, was der „ultimative“ Umgang mit diesem „Olympia“-Film ist. Ihn in voller Länge mit Kurzeinführung zu zeigen ist vielmehr auch zumutbar – einem mündigen, historisch informierten Publikum, das die ORF-III-Programmmacher voraussetzen dürfen.

Entweder also sie werden gegängelt oder lassen sich gängeln, wenn sie auf Knopfdruck reagieren und Rezeptionsanweisungen fürs Publikum nachliefern, nur weil die Quote an zeitgeschichtlicher Aufklärung angeblich nicht punktgenau erfüllt ist oder nicht ganz genau so, wie manche sich das offensichtlich vorstellen – nämlich unter Hochsicherheitskontrolle.

Im Oktober senden ARD und ORF die Verfilmung von Schirachs „Terror“-Stück, in dem ein Pilot ein gekapertes Passagierflugzeug abschießt, um mehr Opfer (70.000 Menschen) zu verhindern; wie im Theater soll das Publikum dann über Schuld oder Unschuld des Piloten abstimmen. Obwohl der Film mit einer Diskussion über ebendiese Frage verknüpft wird, haben zwei FDP-Politiker das Projekt nun kritisiert – Schirach verlocke die Menschen (die im Theater fast alle für den Piloten plädierten) zur Entscheidung gegen das deutsche Grundgesetz. Da ist sie wieder, die hysterische Angst vor dem Selberdenken und Selberfühlen des Zuschauers. Das der öffentlich-rechtliche Rundfunk eigentlich fördern sollte.

anne-catherine.simon@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2016)

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