„Auf dem Vormarsch“ sind immer die Bösen

In der Technik gilt der „Vormarsch“ als gut, in der Politik soll er Ängste schüren: vor den eigenen Gegnern.

Es ist die herrlichste Zeit zum Wandern, aber ein Wort wird man heute in diesem Zusammenhang nicht hören: Vormarsch. Wie der für den Rest des Tages aussehen solle, lässt der Schriftsteller Theodor Fontane noch ein Grüppchen Wanderer überlegen.

Für das Ohr kann dieser freizeitlich-entspannte Kontext richtig erholsam wirken bei all der alarmistischen Vormarsch-Metaphernschleuderei rundum. „Vormarsch“ suggeriert eine geballte, gefährliche, geschlossene Kraft, die sich durchzusetzen droht. Wird der Begriff im Politisch-Gesellschaftlichen verwendet (zumindest in friedlichen modernen Demokratien), soll er Alarm schlagen, Angst machen vor dem Gegner.

Häufig findet man ihn im Zusammenhang mit Islam und Islamismus („Die Vormarsch-Metapher ist fester Bestandteil schon der alteuropäischen Wahrnehmung des Islam“, liest man im Buch „Verhärtete Fronten. Der schwere Weg zu einer vernünftigen Islamkritik“). Bei Weitem am häufigsten aber kommt das kriegerische Bild vor, wenn's um Rechtspopulismus oder extrem Rechte geht.

Wird die Bildersprache allzu militärisch, tut Hellhörigkeit immer gut. Auch oder gerade dann, wenn sie den wenigsten sie reflexhaft reproduzierenden Sprechern oder Schreibern auffällt. Eher kurios sind solche Automatismen bei Wissenschaftlern, die sich mit genau solchen militärischen Metaphern auseinandersetzen. „Durch den Kalten Krieg war auch die Kriegsmetapher wieder auf dem Vormarsch“, heißt es in einer Untersuchung über den Wandel der Sportsprache. Oder, in der Ankündigung eines geisteswissenschaftlichen Vortrags: „Das Verstehen von Metaphern experimentell untersucht – kognitive Literaturwissenschaft auf dem Vormarsch“.

In der Politik soll der Vormarsch Gefahr suggerieren – in Technik, Innovation und Wirtschaft ist er ganz anders, positiv konnotiert. Er ist zum Beispiel ein Lieblingswort der Verfechter erneuerbarer Energien – wo er vielleicht auch kompensatorische Funktion hat: Gerade weil die Entwicklung hin zu den Erneuerbaren eine schwierige, zähe, langsame ist und kein massiver, homogener Eroberungszug. Vielleicht liebt man ihn auch wegen des Attributs „unaufhaltsam“, mit dem er gern versehen wird.

Einst gab es auch Rückmarsch und Seitenmarsch – die haben sich im Alltag nicht durchgesetzt, dafür der Rückzug. Auf diesem sei, las man kürzlich, der Buchstabe V im Deutschen, das könnte dem Vormarsch zumindest orthografisch den Garaus machen: Die Gesellschaft für deutsche Sprache meint, man könnte das V ohne Weiteres durch F und W ersetzen; vielleicht muss man sich beizeiten an den „Formarsch der Rechten“ gewöhnen.

anne-catherine.simon@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2016)

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