Weltkulturerbe verwüsten? Al-Wahhab hat es befohlen

Neun Jahre Haft für den Mann, der in Mali Weltkulturerbe zerstören ließ: ein juristischer Präzedenzfall. Die Gräberverwüstung dagegen hat Tradition.

Die 2012 zerstörten Mausoleen in Timbuktu sind wieder aufgebaut, der angebliche Befehlsführer ist verurteilt: Am Dienstag hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag den rund 40-jährigen ehemaligen Beamten im malischen Bildungsministerium Ahmad Al Faqi Al Mahdi zu neun Jahren Haft verurteilt. Und zum ersten Mal wird die Zerstörung von Kulturerbe als Kriegsverbrechen geahndet – was nur logisch ist: Wie sehr die Gewalt gegen Kultur mit der Gewalt gegen Menschen Hand in Hand geht, haben die Taten der Islamisten in den vergangenen Jahren demonstriert. „Menschen werden ermordet, um zu Bildern ihrer Ermordung werden zu können, und Bilder werden zerstört, als würden Menschen hingerichtet“, formuliert es der deutsche Kunsthistoriker Horst Bredekamp in seinem neuen Buch „Palmyra“.

Intellektuell wirkende Brille, gegelte Locken, schicker Anzug – der geständige und Reue äußernde Ahmad Al Faqi Al Mahdi sieht zumindest vor Gericht ganz anders aus als die bärtigen IS-Kämpfer in ihren Gräuelvideos. Diese Männer passen in unsere alten Bildtraditionen des „Barbarischen“, Al Mahdi wirkt eher wie eine arabische Variante des nationalsozialistischen „Schreibtischtäters“. Ein, wie es heißt, stiller, von Kollegen als „sehr fromm“ wahrgenommener Mann, dem der Fundamentalismus nicht in die Wiege, wohl aber in die Schultasche gelegt worden ist – in Libyen, wo er als Kind mit den Eltern einige Zeit lebte und in eine streng wahhabitische Schule ging. 2012 schloss er sich der Islamistengruppe Ansar Dine an und wurde Chef ihrer „Tugendbrigaden“. Als gottlose Heiligenverehrung sahen sie die Mausoleen islamischer Gelehrter aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Er habe Bedenken geäußert, der Zerstörung dann aber doch zugestimmt, sagt Al Mahdi.

Er und seine Mitstreiter haben getan, was Wahhabiten seit Jahrhunderten getan haben. Der im 18. Jahrhundert lebende Ibn Abd al-Wahhab, auf den sie sich berufen, hatte Gräberverehrung als Vielgötterei verboten. Schon in den 1880er-Jahren hätten Wahhabiten daher die Gräber von Anhängern Mohammeds in Mekka und Medina zerstört, schreibt Bredekamp in seinem Buch. Ihre saudiarabischen Nachfolger taten bei der Eroberung dieser Orte in den 1920er-Jahren dasselbe. Gräber, wie alle Denkmäler der Vergangenheit, sind aber auch deswegen unbequem, weil sie die Gegenwart relativieren, wie alles Vergangene. In Wirklichkeit wollen die radikalen Islamisten keine Rückkehr zu irgendeiner Vergangenheit. Was sie Vergangenheit nennen, ist nur die Rechtfertigung einer von ihnen gewünschten absolut kontrollierten, absolut gesetzten Gegenwart.

anne-catherine.simon@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2016)

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