Musik und Krieg – Wien tanzte stets auch nach Niederlagen

Zum Auftakt des Gedenkjahres 2014, 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, setzten die Philharmoniker zu Neujahr unbewusst Zeichen.

Fröhliche Stimmung soll das traditionelle Konzert der Wiener Philharmoniker zum Auftakt jedes neuen Jahres wecken. Doch es gilt heuer des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs zu gedenken – und übrigens auch des 200. „Geburtstages“ des Wiener Kongresses, der jene Weltordnung besiegeln sollte, die im Gefolge des Weltkriegs endgültig zusammenbrach. Zu den wichtigsten Versatzstücken des Neujahrskonzerts gehört der „Donauwalzer“ – und man hört es am 1.Jänner nicht gern: Dieser Walzer war ein Kind des Krieges.

Johann Strauß Sohn hat ihn als Auftragswerk des Wiener Männergesangvereins geschrieben – und der erste Text, den Josef Weyl, gelegenheitsdichtender Polizeikommissar, der berühmten Eingangsmelodie unterlegte, hatte gar nichts mit der „schönen blauen Donau“ zu tun.

Diese fremdenverkehrsfördernde Verklärung stammt zwar auch von einem k. u. k. Würdenträger, war jedoch erst 1890 gereimt; vom Oberlandesgerichtsrat Franz Gernerth. Der Text, der anlässlich der Uraufführung von den Widmungsträgern gesungen wurde, lautete zynisch: „Wiener seid froh – oho, wieso?“ und bezog sich auf die Niederlage der österreichischen Truppen bei Königgrätz.

Die Strauß-Literatur preist die tröstende Kraft der Musik, die sich die Wiener Gesellschaft zunutze machte – tatsächlich schrieb auch Bruder Joseph Strauß in jenen Wochen der tiefsten Depression einen Walzer, dessen Titel ganz deutlich Bezug auf die Zeitumstände nimmt: „Friedenspalmen“ – ihn haben die Philharmoniker heuer erstmals ins Neujahrsprogramm aufgenommen. Eine Premiere stellte auch die Wiedergabe des traumverloren schönen Zwischenspiels aus Richard Strauss' letzter Oper, „Capriccio“ dar.

Diese „Mondscheinmusik“ hat auch ihre kriegerische Konnotation: Strauss orchestrierte sie im Jahre 1942, also mitten im Zweiten Weltkrieg – er griff aber dabei auf eine Komposition zurück, die 1918, knapp vor dem Ende des Ersten Weltkriegs, entstanden war.

Daran dachte wohl niemand am Neujahrsmorgen im großen Musikvereinssaal, doch stellt Strauss' prächtiges Klanggemälde einen doppelten Fall von Camouflage dar. Mit einer Oper, deren Handlung um die Frage kreist, ob im Musiktheater Wort oder Ton die Vormachtstellung gebührt, entfernte sich der Komponist Anfang der Vierzigerjahre so weit wie irgend möglich von der brutalen Realität. Als die Welt brannte, ließen Strauss und sein Librettist, der Dirigent Clemens Krauss, ästhetizistische Diskussionen in einem Pariser Salon des Ancien Régime abführen.

Überdies entstand die schöne Musik, die sich kurz vor Schluss über die leere, vom Mond beschienene Szenerie gießt, während das Grauen des Ersten Weltkriegs seinem Höhepunkt zusteuerte. Und noch dazu als Begleitmusik zu zynisch-kabarettistischen, gegen die Verlegerzunft wütenden Spottgedichten des Kritikers Alfred Kerr. Strauss war nämlich gerade auf seine Verleger böse und rächte sich mit dem Liederzyklus „Krämerspiegel“.

Solche Sorgen hätte manch einer anno 1918 gern gehabt. Die Zeit heilt freilich alle Wunden – und kalibriert offenbar auch jegliche schiefe Optik. Was bleibt, ist schöne Musik, ob von Strauß oder Strauss – sie erfreut bis heute – und tröstet vielleicht auch im rechten Moment...

E-Mails an:wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2014)

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