In Bordeaux wird nicht nur exzellenter Wein gekeltert

Die Zeit der großen Opernnovitäten ist zwar vorbei, aber hie und da finden Komponisten und Librettisten noch zu guter Kooperation zusammen.

Eine Opernuraufführung – das ist in Zeiten wie diesen der pure Luxus. Denn, Hand aufs Herz, wer wartet angesichts von „Zauberflöte“ und „Rigoletto“, „fliegendem Holländer“ oder „Manon“, „Tosca“ oder „Rosenkavalier“ auf Neuzugang? Freilich: In Sonderausstellungen scheint es für die Leiter der europäischen und amerikanischen „Opernmuseen“ opportun, doch auch noch eine Art Spätlese zu betreiben. Was haben zeitgenössische Komponisten zur alten Musiktheaterform noch zu sagen?

In Bordeaux gelang am vergangenen Wochenende diesbezüglich ein Coup. Christian Lauba (61), als Schöpfer raffinierter Filmmusik ebenso aktiv wie als Komponist leuchtkräftig orchestrierter symphonischer und Kammer-musik, demonstrierte anhand eines Musiktheaterprojekts, wie zugänglich Neue Musik sein kann.

Laubas Musik kennt – ganz im Sinn der nachmodernen Entgrenzung – keine Tabus. Der Komponist hat sich von Daniel Mesguich ein Libretto dichten lassen, das in vielfacher psychologischer Brechung das Schicksal einer Liebe thematisiert: Die Darsteller wandern durch die Zeiten und suchen einander – nebst der Geliebten finden die männlichen Hauptdarsteller sich selbst – sie sind „ein und derselbe“, freilich durch vierzigjährigen Altersunterschied getrennt.

Das sieht viel weniger verquer aus, als es geschrieben klingen mag. Denn Mesguich ist sein eigener Regisseur und hat sich ein theatralisches Spiegelkabinett von beeindruckender technischer Perfektion und ästhetischer Subtilität gebaut, das Patrick Méeüs mit ausgeklügelten Lichteffekten illuminiert. Schade nur, dass der Text ein wenig zu lang geraten ist. Das reduziert die Gesamtwirkung ein wenig.

Etwas verkürzt würde sich diese „Lettre des sables“ durchaus für eine Wanderausstellung empfehlen, vor allem, um die von Dirigent Jean-Michael Lavoie einfühlsam einstudierte Musik Laubas international bekannt zu machen. Da beherrscht einer sein Handwerk exzellent und führt die Hörer trickreich durch die Musikgeschichte: Ob Alban Bergs „Ostinato“-Bewegtheit aus der „Lulu“ oder Richard Strauss'sche Harmonien, ob mittelalterliche Kontrapunktik (zur Inquisitionsszene) oder Schlagerrhythmen der Dreißigerjahre, Lauba zwingt das Unvereinbare in eins. Während einer Casino-Episode der Casanova-Ära verwandelt sich frühklassischer Sonatenstil virtuos in Rossini-Belcanto – und über allem liegt ein zarter Schleier von Laubas eigenständigem Klangempfinden.

Dergleichen hört man nicht alle Tage – auch wenn die oft in schwindelerregende Höhen geführten Singstimmen ihre liebe Not mit der Tessitura haben (vor allem Christophe Gay als Mann und Avi Klemberg als sein Alter Ego Karl). Bénédicte Tauran in der ausdauerheischenden Partie der Mira lässt ihren Sopran in extreme Koloraturbezirke ausschwingen und beweist: Lauba fordert offenbar nichts Unmenschliches von seinen Darstellern.

Die haben jedenfalls ihre Freude an dem optischen Verwirrspiel – und das Publikum in Bordeaux lauschte einen (eine Spur zu langen) Abend lang merklich gespannt. Es gibt sie also, die sehens- und diesfalls auch hörenswerten Sonderausstellungen.

E-Mails an:wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2014)

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