Gleich zwei philharmonische Abenteuer sind in Sichtweite

Unser Meisterorchester präsentiert im Abonnementkonzert Werke von Komponisten, die aus ihren eigenen Reihen hervorgegangen sind.

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Einen bemerkenswerten Beitrag zur Geschichts-Aufarbeitung leisten die Wiener Philharmoniker in ihrem Abonnement-Programm am kommenden Wochenende. Semyon Bychkov dirigiert die Uraufführung einer neuen Komposition des philharmonischen Musikers René Star – und präsentiert nach der Pause die Zweite Symphonie von Franz Schmidt.

Auch er war einst Philharmoniker. Er saß am ersten Pult der Celli – legte dieses prominente Amt aber zurück; nicht nur, weil es zu Auseinandersetzungen mit dem philharmonischen Konzertmeister Arnold Rosé gekommen war, sondern auch, weil er sich dem Komponieren und Unterrichten widmen wollte.

Vor 101 Jahren wurde die Zweite uraufgeführt; sie stellt die vielleicht schönste Retrospektive der symphonischen Form in der Zeit der spätesten Romantik dar.

Manche meinen, das Werk sei 1913 einfach „zu spät“ gekommen. Aber wie kann Schönheit, wie kann handwerkliches Können zu spät kommen? Schmidt zieht Bilanz und beweist, dass zu Zeiten, da die musikalische Moderne schon ganz „da“ war, nicht nur Richard Strauss die Notbremse zu ziehen wusste.

Wie er mit klassischen, barocken und noch älteren Formen spielt und sie zu einer doch im Geiste Bruckners geformten symphonischen Einheit zwingt, das gehört zu den bewundernswerten kompositorischen Drahtseilakten – zumal die rauschhaft schöne Klangwelt, die das Riesenorchester beschwört, die exzellente Handwerksarbeit noch dazu zum akustischen Genussmittel macht.

Zur philharmonischen Geschichte zählt das Werk aber auch deshalb, weil es Ende der Fünfzigerjahre zu einem Eklat kam, als der Kritiker Karl Löbl nach einer Aufführung der Symphonie unter Dimitri Mitropoulos meinte, das sei – aus oben angedeuteten Gründen „Hinterwäldler“-Musik. Der Sturm der Entrüstung, der da losbrach, änderte nichts daran, dass die weitere Entwicklung Löbl recht zu geben schien. Schmidts Zweite stand nur noch ein einziges Mal, 1983 unter Erich Leinsdorf, noch auf dem philharmonischen Spielplan.

Dass sie jetzt wiederkehrt, sollte eine Neubewertung der grandiosen Komposition ermöglichen; im Lichte der Postmoderne, die mittlerweile durchs Land gezogen ist, schaut doch alles wieder ein bisschen anders aus. Man lernt auch Meister schätzen, die nicht darauf aus waren, einem schwer definierbaren Fortschrittsgedanken nachzuhängen.

Im Übrigen regt sich bei Aufführungen von Schmidt'schen Werken gern Kritik, weil der Komponist sich hinreißen ließ, mit der Komposition eines Oratoriums namens „Deutsche Auferstehung“ zu beginnen, die die gleichgeschaltete Gesellschaft der Musikfreunde nach dem sogenannten „Anschluss“ 1938 in Auftrag gab.

Schmidt selbst scheint zu dem Entschluss gekommen zu sein, dass der deutschnationale Jubeltext denn doch zu plakativ und peinlich sei, um mit seiner Musik unterlegt zu werden. Er schrieb dem Leiter der Gesellschaft der Musikfreunde einen Brief, in dem er meinte, er behalte sich vor, „den Bau abzubrechen“. Was er dann auch tat. Obwohl die Komposition in der Skizze fertig war, ließ er sie liegen.

Schmidt starb 1939. Seine Musik gehört unleugbar zum Schönsten, das die späteste Romantik – nicht nur hierzulande – hervorgebracht hat. Vielleicht lässt sich das am kommenden Samstagnachmittag und Sonntagvormittag wieder einmal vorurteilslos genießen?

E-Mails an:wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2014)

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