Wo Grubinger zuschlägt, wächst die Avantgarde

Wer im Konzerthaus zwischen den Sälen hin- und herpendelt, erlebt, wie vielseitig Wiens Musikleben wirklich ist.

Novitäten allenthalben, und sogenannte Neue Musik, ohne dass jemand aufseufzt. Im Gegenteil. Es kommt immer darauf an, wer die ehemals ungeliebte Avantgarde serviert. Ist unser Schlagzeug-Guru Martin Grubinger im Spiel, strömt das Publikum in den großen Konzerthaussaal, ganz egal, was auf dem Programm steht.

Es bedürfte gar nicht der einleitenden spanisch-swingenden de-Falla-Übung mit der Camerata unter John Axel, um die jugendlichen Zuhörer neugierig zu machen. Wenn Grubinger und seine Kollegen im vorletzten Konzert des ungewöhnlichen Zyklus „Percussive Planet“ bei Iannis Xenakis' „Okho“ loslegen, dann lauschen die Hundertschaften und suchen Möglichkeiten, mitzuwippen.

Das ist bei so kompliziert geschachtelten Rhythmen nicht ganz einfach, aber die perkussiven Effekte sichern johlende Begeisterung – die auch bei einem wirklich neuen Stück, es stammt aus der Feder von Peter Eötvös, erhalten bleibt: „Speaking Drums“ heißt das Werk – und es macht das Orchester zum Stichwortgeber und ruhigen Beantworter von Fragen, die der Solist Grubinger stellt, der angehalten ist, sein eigenes Spiel und sein kurioses Instrumentarium durch sinnlose Silben wie ein Karatekämpfer zu stimulieren.

Zuletzt stellt sich tatsächlich der erwünschte Effekt ein: Die Instrumente scheinen mit ihrem Meister in Interaktion zu treten. Dass solche Dinge viele Menschen ins Konzerthaus locken, die sonst hier niemals erscheinen würden, schon gar nicht, um Neue Musik zu hören, beweist, wie erfolgreich neue Abonnementserien sein können.

Wer stillere Momente suchte nach so viel Schlagkraft, konnte Samstagabend zur Pause in den Schubertsaal wechseln. Wenn er Platz fand, denn die Konzerte des Eos-Quartetts sind ziemlich ausgebucht. Die vier Symphoniker beschlossen ihre Saison, indem sie mit ihrem wunderbaren Klarinettisten-Kollegen Gerald Pachinger Brahms' h-Moll-Quintett musizierten, schlicht, und gerade weil sie sämtliche heiklen Übergänge mit schlafwandlerischer Sicherheit ausblancierten, wirklich herzergreifend.

Wie vielseitig Wiens Musikleben ist, darf man bei solchen Gelegenheiten erfreut zur Kenntnis nehmen. Apropos: Mittwoch und Donnerstag musiziert der große Menahem Pressler noch einmal Mozarts letztes Klavierkonzert. Eigentlich ein Muss . . .

E-Mails an:wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.