Das Musikleben in der gesamten EU scheint zu schlingern

Wo die Klassikszene wirklich in die Krise schlittert: Dänemark verliert ein Rundfunkorchester, Amsterdam bangt ums Concertgebouw Orchester.

Manchmal hat man wirklich das Gefühl, dass wir hierzulande auf der sprichwörtlichen Insel der Seligen leben. Da beschwören Kassandrarufer angesichts von Irritationen nach dem Abgang eines Generalmusikdirektors schon profunde Krisen herauf, während sich in einem Haus wie der Wiener Staatsoper Weltstars weiterhin die Klinke in die Hand geben.

Anderswo kämpft man mit tatsächlich existenziellen Problemen. In Holland zum Beispiel. Man hat schon fast vergessen, dass die dortige Regierung vor etwa drei Jahren zu einem kulturellen Kahlschlag angesetzt hat, dem manche alteingesessenen Institutionen zum Opfer gefallen sind.

Vor allem die Orchester im Kulturbereich Europa stehen ja allseits auf der Abschlussliste. Nicht nur bei den Niederländern. Die sorgen nun allerdings erneut für Schlagzeilen.

Diesmal geht es nicht um irgendein Ensemble. Nein. Das Concertgebouw Orchester ist in Nöten. Und zwar nachhaltig.

Dass Mariss Jansons, der beliebte Chefdirigent, sich nun einem anderen Orchester, dem des Bayerischen Rundfunks, widmet, ist nur das nach außen hin weithin sichtbare Krisensymptom.

Inwendig geht es, wie immer, um Geld. Etwas mehr als 850.000 Euro Defizit hat man im Concertgebouw eingefahren. Das ist dem Geschäftsbericht des Orchesters für das Jahr 2013 zu entnehmen. Spätestens 2016 wird es keine Konzerte des renommierten Klangkörpers mehr geben können, wenn nicht rasch finanzielle Hilfe kommt, so lautet der Befund der Orchesterverwaltung.

Dabei sind die öffentlichen Zuschüsse ganz gegen die Linie der holländischen Kulturpolitik für das kulturelle Aushängeschild des Landes zuletzt sogar erhöht worden. Mit dem Rücktritt von Mariss Jansons sieht sich das Concertgebouw Orchester nun auch künstlerisch vor einer schwierigen Situation: Wie will man eine Zukunft planen, deren Finanzierung ab 2016 nicht mehr gesichert ist – und für die man keine musikalische Galionsfigur mehr zur Verfügung hat?

Unter den zahlreichen Rundfunkorchestern, die von den öffentlich-rechtlichen Sendermanagern in jüngster Zeit „zur Disposition gestellt“ wurden, findet sich ab sofort auch jenes von Kopenhagen. Der Dänische Rundfunk hat bekannt gegeben, sein „Danish National Chamber Orchestra“ aufzulösen.

Dieses Ensemble hat unter Adam Fischer zuletzt nicht mit Krisenmeldungen, sondern durch künstlerische Leistungen Schlagzeilen gemacht: Mit den Dänen hat der ungarische Maestro eines seiner ehrgeizigen CD-Projekte realisieren können. Er spielte sämtliche erhaltenen Symphonien von Wolfgang Amadeus Mozart ein. Die Box mit zwölf CDs – 45 Werke – ist seit dem Vorjahr im Handel.

Weitere Projekte – darüber wird noch zu berichten sein – stehen auf der Agenda des Ensembles. Theoretisch, denn praktisch haben die Rundfunkverantwortlichen beschlossen, die Geldmittel ab sofort nur noch in das große Rundfunkorchester zu investieren, dessen Chefdirigent ab 2017 Fabio Luisi sein wird, der zu diesem Zeitpunkt seine Warteposition an der New Yorker Metropolitan Opera aufgibt – er ist „principal guest conductor“ neben dem kürzlich nach langer Krankheit zurückgekehrten James Levine.

Eine Unterstützergruppe, die für den Erhalt des unter Kennern besonders geschätzten Kammerorchesters kämpft, hat sich bereits gebildet. Man erinnert sich an die Vorgänge rund um das Wiener Radiosymphonieorchester – dass diese sich auf der erwähnten Insel der Seligen nicht wiederholen können, bleibt zu hoffen. Derzeit weiß man ja nicht, wie es mit dem ORF-Radio – und in der Folge mit dem Orchester weitergehen wird . . .

E-Mails an:wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2014)

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