Musik wird gemacht wie zu Mahlers Zeiten - die PR ist modern

Wenn in Boston ein neuer Chefdirigent antritt, kann die Welt via Internet dabei zuschauen und darf global den Klassikbetrieb hochleben lassen.

Wer da meint, der Klassikmarkt sei eine völlig konservative Angelegenheit, muss nur einmal sehen, wie man in den USA agiert, um Oper und Symphonie am Leben zu erhalten. Konservativ im besten Sinn bleibt lediglich die Art und Weise, wie am Ende einer langen Vorarbeitskette Musik gemacht wird. Ein Symphonieorchester, ein Opernhaus, sie funktionieren noch wie zu Gustav Mahlers Zeiten. Singen und spielen müssen noch Menschen ohne Zuhilfenahme irgendwelcher technischer Hilfsmittel.

Und – in Parenthese – falls die Vorgänge auf der Bühne auch Ähnlichkeiten mit dem zu erzählenden Stück aufweisen, rundet sich das Spektakel stimmig. Dass die mutwillige Zertrümmerung des theatralischen Elements die Zukunft des Musiktheaters sichern könnte, glauben ja nur meine deutschen Feuilletonkollegen und pensionierte Opernintendanten.

Das aber nur am Rande. Eigentlich wollte ich über die Gesetze des Markts berichten. Am Beispiel der USA, genauer: Bostons. Dort hat man soeben einen neuen Musikdirektor inauguriert. Andris Nelsons ist der 15. Chefdirigent von Boston Symphony. Wie man ihn inthronisierte, das ist beispielhaft für die effektive amerikanische PR-Maschinerie.

Ein einfaches Konzert hätte natürlich nicht ausgereicht, der Initialzündung zu einer neuen Ära in der Geschichte eines der besten Orchester der Welt die entsprechende globale Werbewirksamkeit zu sichern. Es müssen Geschichten zu erzählen sein, dann schaut die Welt zu. Nicht zu verwechseln etwa mit Phänomenen der müd gewordenen Alten Welt, etwa den notorischen wienerischen Wadelbeißereien, versteht sich.

Positive Meldungen mit Wohlfühlfaktor braucht der Globus. Also dirigierte Nelsons zum Einstand nicht irgendeine Ouvertüre, sondern die zu Wagners „Tannhäuser“. Warum? Es sei die erste Musik gewesen, so erzählt er, die er im Theater gehört habe, und sie habe ihn so bewegt, dass in ihm der Wunsch gekeimt sei, Dirigent zu werden.

Sodann leitete man nicht mit einer klassischen oder romantischen Symphonie oder einem Klavierkonzert zum Effektstück „Pini di Roma“ von Respighi über, das dann mit nicht nur sprichwörtlichem, sondern auch realem großem Tamtam den applaustreibenden Ausgang beschwor.

Zwei fashionable Sänger-Stars, bekannt auch dank der in jüngster Zeit erfreulich häufigen Übertragungen aus internationalen Opernhäusern, sangen Arien und Duette: Jonas Kaufmann, der Vielgeliebte, und Kristine Opolais, die im Leben im Halbschatten der Scheinwerfer auch noch die Ehepartnerin von Andris Nelsons ist.

Dergleichen ist so regenbogenpressetauglich, wie es erfreulich für die Sache der Kunst genannt werden darf: Denn die drei samt den formidablen Musikanten aus Boston machen ja auf Spitzenniveau Musik – von Wagner, von Puccini; und das tun sie, wie schon gesagt auf die ewig gleiche, die gottlob unabänderliche Weise, indem sie sich auf dem Podium versammeln und, nachdem die Instrumente gestimmt sind, gemeinsam musizieren.

Dank der zeitgemäßen Werbestrategien – das Bostoner Konzert steht zum Download auf www.bso.org im Netz bereit – interessieren sich bejubelnswerterweise mehr Menschen denn je zuvor für das angeblich altmodische Metier...

E-Mails an:wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

Auftakt zur neuen Ära in Boston. Via Internet sind wir dabei...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2014)

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