Niemanden schert es, ob Fundamente bröseln

In Europa schließen Opernhäuser, Symphonieorchester werden abgeschafft, Kultur wird allseits zur Spielsache.

Wer die Nerven hat, inmitten der zum Teil stürmischen Nachrichtenlage auch noch die europäische Kulturfront im Auge zu behalten, dem kann angst und bang werden. Es stimmt schon, dass die Bewohner unseres Kontinents andere Sorgen plagen als die Frage, wie es mit unserem Kulturverständnis und der Pflege des diesbezüglichen Erbes weitergeht.

Aber schon die völlige Marginalisierung des musischen Unterrichts an unseren Schulen sollte uns besorgt stimmen. Wenn es nur noch darum geht, technischen Fortschritt und Wirtschaftskompetenz zu fördern, heißt das „in a long run“ nur, dass die Alte Welt ihre Führungskompetenz in die Hände jüngerer Kolleginnen legen wird.

Den Ast, auf dem noch ein paar von uns zu singen verstehen, sägen wir mit vereinten Kräften ab. Sinnbild der Preisgabe der Wurzeln ist die Geringschätzung kultureller Werte – im Verhältnis zur Anbetung der zivilisatorischen. Dass jetzt manche höhnisch nach dem „kleinen Unterschied“ fragen, beweist mir nur, dass die Diagnose stimmt ...

Solch zukunftsorientierte Zeitgenossen stehen gern auf dem Standpunkt: Wer sich mit ererbter Kultur beschäftigen möchte, soll sich diesen Spaß gefälligst selbst finanzieren. Das sind die, von denen Goethe meint, sie mögen „von Tag zu Tage leben“. Für sie ist Kunst, die sogenannte Hochkultur, bestenfalls Verschönerung des Daseins. Sie sollte freilich eine Notwendigkeit darstellen. Bildung wäre, das im Innersten begreifen zu lernen.

Wem die Pflege des Ererbten nichts bedeutet, den kratzen natürlich Nachrichten nicht wie diese, dass im Mutterland der Oper, Italien, der Opernbetrieb fast vollständig zusammenbricht. (Künstler freuen sich dort, wenn sie dieser Tage Gagen vom Frühjahr 2013 ausbezahlt bekommen...)

Auch rührt es mittlerweile die wenigsten, wenn allenthalben – zuletzt in Deutschland und den Niederlanden – Orchester sterben, oder dass die Brüsseler Kulturpolitik das Budget ihres renommierten Opernhauses um 30 Prozent reduzieren möchte – und es damit in den künstlerischen Bankrott treibt.

Man spielt da mit Unwiederbringlichem. Dazu gehört auch, dass hierzulande Theaterdirektoren Jahr für Jahr gezwungen sind, um ein halbwegs taugliches Budget zu betteln. Das gehört längst zu den „Gewohnheitsrechten“.

Bei alledem geht es – im Vergleich zu Bankenrettungen und derlei Vordringlichkeiten – um lächerlich geringe Summen. Aber wen kümmert's, wenn die Fundamente zu bröseln beginnen?

E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2014)

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