Christoph Waltz muss zur Wahrheitsfindung nicht reden

In Salzburg gibt es eine kleine Denkmalschändung zu beklagen. In Amerika rätseln Filmkritiker, was ein Schauspielstar alles wissen muss.

Die Salzburger Polizei muss sich mit der Frage herumschlagen, ob der Fall eine Art von Leichenfledderei darstellt oder doch dem puren Vandalismus zuzurechnen ist. Jedenfalls fehlt der Bronzeskulptur Herbert von Karajans, mit der die Stadt ihren großen, vor 25 Jahren verstorbenen Sohn ehrt, seit vorgestern das Staberl. Abgebrochen.

Als ob es auf den Taktstock ankäme. Da rühren wir freilich an ein modernes Mysterium, das seit dem Moment, da Kapellmeister zu diesem Mittel der metrischen Verkehrsregelung gegriffen haben, die Sicht auf die Realität verdrängt; sie wegwedelt, sozusagen.

Quasi im gleichen Atemzug brüskiert Christoph Waltz bemühte US-Kulturjournalisten, die ihm die notorischen Fragen nach der Persönlichkeitsstruktur von ihm dargestellter Figuren stellen. Er gebe darauf keine Antwort mehr, bekundete Waltz.

Recht hat er. Er wird nicht dafür bezahlt, sich so etwas zu überlegen. Wirklich nicht. Mit den Schauspielern ist es wie mit den Orchestermusikern. Wer sie über Details zu den gespielten Stücken befragt, erschrickt oft über den scheinbaren Mangel an Einsicht.

Die Wahrheit ist: Interpreten müssen eine ganz andere Art von „Einblick“ in die Sache der Kunst gewinnen, viel intuitiver, als populärwissenschaftliche und journalistische Ausdeuter wahrhaben möchten. Wer in einer Bruckner-Symphonie Bratsche spielt, muss im richtigen Moment seinen Ton und vielleicht auch das Tempo eine Nuance zurücknehmen, damit der folgende Akzent richtig herauskommen kann oder die folgende Pause so recht beklemmend wirkt.

Die Beklommenheit muss dann aber der Hörer fühlen – und zwar ohne dass unser Musiker ihm dieselbe wortreich erläutern kann. Ähnlich ist es bei der Schauspielerei. Waltz bemühte seinen Kollegen Harrison Ford, der einmal meinte, er müsse seinem Publikum „nicht zeigen, wie nah ich dem Charakter bin, sondern wie nah ihr dem Charakter seid“.

Womit wir wieder bei Karajans Stab wären. Der Maestro hat oft bekundet, die eigentliche Arbeit des Dirigenten finde in den Proben statt. Dort muss, um unser Beispiel fortzuführen, zusammengeführt, harmonisiert werden, was die Hundertschaft an Musikern intuitiv als richtig empfindet. Am Abend sei nur noch abzuwickeln, was vormittags abgemacht wurde.

Filmreife Gesten auf dem Podium sind Staffage, der Taktstock als Zauberstab Schimäre. Am Ende zählt nur, was das Publikum mit dem Werk anzufangen weiß. Da fällt mir die Berliner Dame ein, von ihrer Freundin in die Philharmonie mitgenommen, um Furtwängler zu erleben: „Stößt du mich“, bat sie, „wenn er anfängt zu faszinieren?“ So eine klaut vielleicht Taktstöcke . . .

E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2014)

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