Festwochen-Retrospektive: Musik trotz und gegen Josef Stalin

Die Wiener Festwochen erinnerten mit einem Konzertschwerpunkt an den bedeutenden Komponisten Mieczysław Weinberg.

Den Namen kannten bis vor Kurzem nur Eingeweihte: Mieczysław – oder Mojsej – Weinberg. Er war einer der besten Komponisten der Sowjetunion, auch wenn die kommunistischen Machthaber und ihre willfährigen Helfershelfer das gar nicht gern hörten.

Der Reihe nach. Weinberg kam in Polen zur Welt. In eine jüdische Musikerfamilie in Warschau hineingeboren, begann er schon als Kind zu komponieren. Das nötige technische Rüstzeug, soweit es nicht von den Eltern unterrichtet werden konnte, brachte sich der talentierte Knabe selbst bei. Er war gerade 20 Jahre alt, als er vor den deutschen Okkupanten über die russische Grenze in Richtung Osten flüchten musste. Seine jüngere Schwester verkraftete den beschwerlichen Fußmarsch nicht und kehrte um – Weinberg bleib allein und sah seine Familie nie wieder. Das Schicksal teilt er auf zynisch-bittere Weise mit dem gleichaltrigen, aus Krakau gebürtigen Roman Haubenstock-Ramati, der freilich, anders als Weinberg, nach abenteuerlicher Flucht nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Wien landen sollte.

Weinberg blieb in der Sowjetunion, war in Moskau einer der Freunde von Dmitri Schostakowitsch, der – wiewohl selbst immer wieder gefährdet – den Kollegen vor den antisemitischen Verfolgungen der späten Stalin-Zeit zu bewahren wusste.

Erst nach Stalins Tod besserte sich die Situation für Weinberg, wenn er auch nie in die Riege der staatlich besonders geförderten Komponisten aufsteigen sollte.

Was er hinterlassen hat, ist imposant: Mehr als 20 Symphonien, Konzerte, Vokalmusik, aber auch Filmmusik, die immerhin ermöglichte, dass Weinberg ein Millionenpublikum hatte – wenn dieses ihn auch namentlich nicht kannte.

Der Geiger Gidon Kremer, der für viele bedeutende, doch im Westen völlig unbekannte Komponisten aus dem Reich hinter dem ehemaligen Eisernen Vorhang eine Lanze gebrochen hat, kümmert sich nun seit geraumer Zeit um Weinbergs Werk. Nach einigen stets heftig akklamierten Soloauftritten bündelte er mit seiner Kremerata Baltica nun mehrere Programme zu einem kleinen Weinberg-Festival (siehe auch Rezension Seite 21), das am 13./14. Juni in mehreren Tranchen Kammermusik, aber auch Symphonisches in kleiner Besetzung vorführte.

Auch ein Film über den Komponisten war zu sehen: Am 14. Juni zeigte das Stadtkino im Künstlerhaus den Streifen „Wenn die Kraniche ziehen“, danach folgte ein Gespräch im Festwochen-Zentrum im Künstlerhaus, in dem Intendant Markus Hinterhäuser mit Gidon Kremer und Weinberg-Kennern über dessen Filmmusiken sprach. Ein spannendes, verdienstvolles Projekt der Festwochen.

E-Mails an:wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2015)

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