Ach ja, Kurt Schwertsik ist schon fünf Tage 80!

Eine zu späte Laudatio auf einen, der früh dran war, um verschmitzt wider den Stachel des Zeitgeists zu löcken.

Etwas zu spät bin ich dran; aber bei Kurt Schwertsik bin ich mir nicht sicher, ob er nicht irgendwann einmal daran denkt, auch eine Verspätungs-Sinfonietta zu schreiben. Ich glaube, er nimmt Glückwünsche auch jetzt noch entgegen, ohne zu murren. Er ist ja einer, der die Sachen so lange dreht und wendet, bis er irgendetwas Positives daran findet, an dem er sich freuen kann.

Das steckt dann an. Was das Komponieren betrifft, war es bei ihm jedenfalls so, dass er sich die ganze Misere, in die die zeitgenössische Musikproduktion nach dem Zweiten Weltkrieg geschlittert war, in Ruhe angeschaut hat; und zwar wirklich in allen Facetten. Er war sogar in Darmstadt, wo man Menschen, die zugaben zu wissen, dass ein Dominantseptakkord eine bestimmte Funktion erfüllen und sich sogar nach Dur auflösen könnte, gar nicht bei der Tür hereinließ.

Irgendwie hat er sich damals gut verstellt oder seine Erkenntnis, dass sich mit Dreiklängen noch allerhand anfangen lässt, vielleicht noch vor sich selbst verborgen. Der Intellekt spielt einem ja manchmal die kuriosesten Streiche. Und die amüsieren Schwertsik, der ein guter Beobachter ist – wohl auch ein Beobachter seiner selbst.

Als Gründungsmitglied von „die reihe“ war ihm keine Dissonanz fremd. Was die Förderung seiner fortschrittlichen Kollegen betrifft und der Vorbilder im Bereich der Wiener Schule samt ihren – wie der Name des Ensembles schon sagt – Zwölftonreihen, kämpfte er an vorderster Stelle in einem Umfeld, das nicht gerade freundlich gesinnt war. Man schimpfte und verließ Säle türenschlagend.

Umso höflicher grüßte Schwertsik zurück. Einem befreundeten Komponisten riet er in Zeiten der Orientierungslosigkeit einmal, er möge doch, wenn er gerade wieder nicht wisse, welche Art von Musik er eigentlich schreiben sollte, die Musik schreiben, die er selbst hören möchte.

Das ist wahrscheinlich einer der Kardinalsätze, die man in der Analyse der Musik der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts parat haben muss, er enthüllt nämlich ungeniert das ungeheuerliche Faktum, dass mindestens eine Generation von Komponisten Musik geschrieben hat, die sie selbst nicht hören wollte.

Jedenfalls lag dieser masochistische Zug in der Luft; und wurde vom Publikum als durchaus sadistisch empfunden; jedenfalls außerhalb von Darmstadt. Schwertsik befreite sich vom Selbstgeißelungssyndrom relativ rasch und begann Werke zu schreiben, die sowohl den Spielern als auch den Zuhörern Spaß machten. Es war ein mutiger Akt, in Zeiten der Doktrinen und Ismen einfach ein gut gelaunter Kurt Schwertsik zu sein, dem bei seinem musikalischen Fabulieren auch der abgebrühteste Musikkritiker einfach gern zugehört hat. Chapeau.

E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.