Erkennen Sie die Melodie? Ja! Von wem ist sie?

An welchen Ausgrabungen Musikveranstalter interessiert sind, hängt selten von künstlerischen Qualitätsfragen ab

Vor 70 Jahren starb Emil Nikolaus von Reznicek. Österreichischer Komponist, heißt es in den spärlichen Angaben der Lexika. Ein Altösterreicher war er, wie er nur im Buche stehen kann. Der Vater ein böhmischer – nein, nicht Gefreiter, sondern Feldmarschall, die Mutter Tochter eines rumänischen Fürsten.

In Graz zur Welt gekommen, machte Reznicek in Deutschland Karriere, als Kapellmeister und Lehrer. Berlin wurde zu seiner Heimatstadt. Als Komponist war ihm zwar gelungen, was man den Durchbruch nennt. Seine musikalische Komödie „Donna Diana“ darf, musikhistorisch betrachtet, als Meilenstein einer deutschen Opera buffa nach Wagner gelten, nach Cornelius' „Barbier von Bagdad“ und vor Wolfs „Corregidor“ entstanden. Aber im heutigen Musiktheaterleben ist sie schon deshalb unmöglich, weil alles, was das Wort „deutsch“ im Untertitel führt und nicht mindestens von Wagner oder Richard Strauss stammt, als suspekt gilt.

Doch Reznicek blieb dauerhafter Erfolg schon zu Lebzeiten versagt. In Opernhäusern und Konzertsälen musste er so viele Rückschläge verzeichnen wie im Privatleben, das von Tod und Missgeschicken überschattet war.

Für den Nachruhm, der angesichts einiger exzellenter Partituren groß angelegter Orchesterwerke (eines davon, „Der Sieger“, deutlich parodistisch auf Richard Strauss gemünzt) und fein gearbeiteter Kammermusik immerhin denkbar gewesen wäre, war die öffentliche Anerkennung hinderlich, die man Reznicek in Deutschland seit 1933 zuteil werden ließ. Da muss man froh sein, wenn das Recht auf einen Straßennamen nicht aberkannt wird.

Dass er starb, kurz nachdem das Dritte Reich zusammengebrochen war, sorgte für die letzte, bittere Groteske. Beerdigt wurde Reznicek auf dem Wilmersdorfer Waldfriedhof Stahnsdorf. Die Einsegnungskapelle lag im Westsektor Berlins, das Grab im Osten. Aus Angst, von russischen Soldaten beraubt zu werden, setzten die Träger den Sarg an der Grenzlinie ab, entledigten sich aller Wertsachen und trugen, nur das Nötigste am Leib, den Toten zur letzten Ruhestätte . . .

Und die posthume Groteske: Seinen apartesten Einfall nutzte man lang als Signation zur Sendung „Erkennen Sie die Melodie?“ Die Melodie erkennt bis heute jeder. Aber keiner weiß, von wem sie stammt. Typisch Reznicek!

E-Mails an:wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2015)

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