Rätselspiele: Braucht Bayern Konzertsäle? Und wenn ja, wo?

Bei der Frage, wo Münchens neuer Konzertsaal stehen soll, wurden von Politikern offenbar sogar Gutachten bewusst falsch dargestellt.

Die unendliche Geschichte über Münchens Konzertsäle ist um eine Facette reicher. Diesmal ist sie weniger lächerlich als empörend. Das Münchner Bürgertum gibt ja gern viel Geld aus für Klassik und ist sich sicher, dass man das der eigenen Reputation schuldet: ein feist dotiertes Opernhaus, mehrere Orchester, davon eines – das des Bayerischen Rundfunks – wirklich von Weltrang.

Doch musste man lange mit dem netten, aber für üppige Spätromantik einfach zu kleinen Herkulessaal in der Residenz auskommen. Nach endlosem Hin und Her errichtete man einen riesigen neuen Saal am Gasteig, den die meisten Künstler, aber auch ein Großteil des Publikums vom Eröffnungsabend an als akustische Katastrophe empfanden.

So gab es bald Petitionen, die Richard-Strauss-Stadt möge doch ihrem Image als Klassikhochburg gerecht werden und endlich eine taugliche Spielstätte für den Genius Loci und seine bedeutendsten Kollegen von Brahms über Mahler bis Schostakowitsch schaffen. Zuletzt machte sogar der geliebte Chefdirigent des Rundfunk-Symphonieorchesters, Mariss Jansons, seinen Verbleib in München von der Entscheidung für einen Neubau abhängig – und legte seine zweite Funktion, immerhin die Chefposition beim Amsterdamer Concertgebouw, zurück, als ruchbar wurde, dass aus dem Projekt endlich, endlich etwas werden könnte.

Seltsam genug berührte Kenner die Tatsache, dass die politische Entscheidung dann aber für einen verkehrstechnisch höchst ungünstig gelegenen Bauplatz auf dem Gelände einer ehemaligen Lebensmittelfabrik in der Vorstadt fiel. Wo früher Erdäpfelknödel hergestellt wurden, soll nun bald „Freude, schöner Götterfunken“ gesungen werden.

Warum nur, so rätselte man, wollen Münchens Kulturpolitiker nicht die Möglichkeiten ausnützen, um einen attraktiveren Standort für das Prestigeprojekt zu wählen? Einen zentraleren als das freie Gelände der ehemaligen königlichen Reitschule gibt es nicht.

Der vordere Teil des Marstall-Gebäudes ist nach den Bombenangriffen von 1944 erhalten geblieben und könnte sogar als Eingangsbereich genutzt werden. Konzertsaal und Opernhaus wären dann Nachbarn, eine Musikmeile sondergleichen im Herzen der Stadt. Was sprach dagegen?

Jüngst sind Meldungen laut geworden, man hätte ein Gutachten des japanischen Akustikers Yasuhisa Toyota zumindest falsch interpretiert, wenn nicht bewusst ins Gegenteil verkehrt, um statt der zentralen Lösung die Erdäpfelvariante durchzusetzen.

Ob das nicht ein Riesenbetrug war, dessen Aufdeckung es möglich machen sollte, die Entscheidung noch einmal zu revidieren, müssen die Bayern entscheiden. Sicher ist: Wenn sie die Variante „Symphonik statt Knödel“ realisieren, kommen auf sie dieselben Probleme zu, die in Paris bereits drohen. Auch dort versetzte man die Philharmonie in ein Viertel, in das sich selbst am helllichten Tag kein Bürger von Paris freiwillig begibt. Freilich: Wenn dieses Desaster nach der Anfangseuphorie offenbar wird, ist der neue Münchner Saal vermutlich schon in Bau . . .

E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2016)

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