Wer spielt denn gleich drei Mal Tschaikowsky?

Die Auseinandersetzung mit dem größten Symphoniker der russischen Romantik gilt in Wien noch als anrüchig.

Die scherzhafte Antwort auf die Frage „Wie viele Symphonien hat Beethoven geschrieben“ lautet: „Drei. Die Dritte, die Fünfte und die Neunte.“ Darin steckt ein Körnchen Wahrheit über den Musikbetrieb. Angewendet auf Peter Iljitsch Tschaikowsky ließe sich angesichts von dessen sechs einschlägigen (und nummerierten) Werken sagen, er hätte die Vierte, Fünfte und Sechste geschrieben. Die anderen drei kommen im internationalen Konzertleben kaum vor.

Dafür sind die starken späteren Werke ununterbrochen im Einsatz. Kaum aber werden sie als Dreier-Zyklus unmittelbar hintereinander zur Diskussion gestellt. Manfred Honeck wagt den Dreisprung anlässlich seines Gastspiels mit dem Pittsburg Symphony Orchestra im Musikverein – beginnend am kommenden Donnerstag an drei aufeinanderfolgenden Abenden. Ein Wagnis ist das vor allem deshalb, weil sich ein Dirigent heutzutage bei so viel Tschaikowsky sozusagen automatisch dem Kitschvorwurf aussetzt. Und es gehört zu den schönsten Interpreten-Tugenden, ebendiesen Vorwurf durch entsprechend klare und am Notentext eher als am Hollywoodsound orientierte Wiedergaben zu entkräften.

Hollywood hat sich bei Tschaikowsky freilich ungeniert bedient – Wunschkonzerte und Hitparaden reduzierten ebenso ungeniert die Werke dieses Komponisten auf „schöne Stellen“: den strömenden Des-Dur-Beginn des b-Moll-Klavierkonzerts kennt jeder, den lyrischen Seitensatz des ersten Satzes der Sechsten Symphonie, der „Pathétique“, ebenfalls.

Stücke aufgrund solcher Ohrwürmer zu verdammen, hieße auch Schuberts „Unvollendete“ auf den Müllhaufen der Kommerzmusik zu werfen. Besser aufmerksam bewerten, welche Funktion schöne Melodien im Werk-Zusammenhang erfüllen.

Wer eine Komposition wie die „Pathétique“ studiert, wird rasch bemerken, wie viel etwa ein jüngerer Kollege wie Gustav Mahler dem russischen Symphoniker verdankt. Dessen jüngst im Musikverein wieder einmal gespielte Neunte hat mehr als nur den großformalen Umriss – inklusive langsamen Finalsatzes – gemein!

Übrigens: Honeck koppelt just die „Pathétique“ mit Alban Bergs Violinkonzert (Solist: Leonidas Kavakos) – auch dieses Stück ist in seiner Anlage und Aussage mit der Tschaikowsky-Symphonie verwandt. Ohne dass je Kitschverdacht geäußert worden wäre, wenn dieses Zwölftonstück in lupenreinem B-Dur, einen Bach-Choral und eine Kärntner Volksweise zitierend, entschwebt . . .

E-Mails an:wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.