Worüber Ariadne klagt, das belächelt Zerbinetta

Vor 100 Jahren fand in Wien eine Uraufführung statt, die zukunftsweisender war, als die Kommentatoren meinten.

Morgen jährt sich der Tag der Uraufführung von Richard Strauss' „Ariadne auf Naxos“ zum 100. Mal. Es stimmt schon, die Welt hatte damals, mitten im Ersten Weltkrieg, andere Sorgen als die Leiden einer griechischen mythologischen Figur, die gerade von ihrem Liebhaber verlassen wurde. Und doch markierte die erste Aufführung gerade dieser Oper einen Wendepunkt.

Einen Wendepunkt, dessen Wirkungsmacht zunächst niemand erkennen wollte – und wohl gar nicht erkennen konnte. Strauss, der wenige Jahre zuvor noch Dissonanzballungen zuvor ungeahnten Ausmaßes aufeinandergetürmt hatte, um die Verruchtheit der Prinzessin Salome und der Vorgänge in Sophokleischen Atriden-Tragödien passend akustisch zu illustrieren, verschrieb sich plötzlich dem heiteren Rokoko und camouflierte Tragödien-Tiefe mit Operettenklängen?

Eben hatte er angesichts der harmonischen Kühnheiten der Klytämnestra-Szenen verkündet: „Jo mei, wann auf der Bühne a Muatta derschlog'n wird, kann i im Orchestergraben koa Violinkonzert spielen lassen!“

Und jetzt das: hehres Lamento konterkariert von Walzerrhythmen?

In Wahrheit war es Straussens Librettisten Hugo von Hofmannsthal gelungen, den genialen Compagnon zu einem revolutionären Theaterplan zu verführen. „Ariadne“ sollte ursprünglich ein „Operchen“ werden, um an Stelle des seinerzeit üblichen Balletts Hofmannsthals Molière-Arrangement „Der Bürger als Edelmann“ ausklingen zu lassen.

Der „Crossover“-Versuch, wiewohl von Max Reinhardt inszeniert, scheiterte 1912 anlässlich seiner Uraufführung in Stuttgart kläglich, wie jeder Versuch, Sprech- und Musiktheater kreuzen zu wollen, scheitern muss. Dem geistreichen Irrtum Hofmannsthals verdanken wir freilich die noch viel geistreichere Zweitversion der „Ariadne“ mit dem mehrheitlich rezitativischen „Vorspiel“, das uns über das scheinbar wirre, in Wahrheit schon die Ästhetik der Postmoderne vorwegnehmende Stil-Kaleidoskop der Oper aufklärt.

So überwanden Hofmannsthal und Strauss die von ihnen selbst mitgetragene Moderne auf eine Weise, die zukunftsträchtiger war als alles, was scheinbar fortschrittlichere Schriftsteller- und Komponistenkollegen zu jener Zeit wagten.

In Umkehrung von Wagners Wort dürfte man angesichts des seinerzeit ganz unzeitgemäß wirkenden Projekts vielleicht fragen: „Konnt' ein Unsinn sinniger sein?“ Vielleicht ist es kein Zufall, dass Ariadne II in Wien ihre Uraufführung erlebte. Dergleichen geschieht hierzulande ja nicht oft. Aber wenn . . .

E-Mails an:wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2016)

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