Die allerfeinsten Pointen für die allerzartesten Herzensdinge

Wer noch nie Alfred Polgar gelesen hat, kann ihn sich jetzt vorlesen lassen. Wer ihn schon liebt, ist kommenden Mittwoch sicher im Musikverein.

Sehr wienerisch, charmant, zum Schmunzeln und sehr, sehr klug beobachtet und in literarische Kleinodien gefasst“, sagt die Schauspielerin Nicole Beutler über die Texte von Alfred Polgar, die sie übermorgen, Mittwoch, im Musikverein lesen wird. Ein Abend über die Liebe wird das werden, musikalisch untermalt, auf den Spuren von Senta Berger, die Polgars einschlägige Texte auf CD gebannt hat.

Dergleichen will man auch live hören, aus besagten Gründen. Und wer den Namen Polgar nun eher mit spitzfedriger Theaterkritik assoziiert als mit Geschichten über die Liebe, der könnte bei Kurt Tucholsky lernen, dass es sich bei diesem Autor um einen Frauenversteher der raren Art handelt, der im allerbesten Sinne „homme de lettres à femmes“ gewesen sei, auch dort, wo er „gar nicht von den Frauen spricht, fühlt jede sofort: Dieser weiß, wie ich bin, versteht mich, streichelt mich, fürchtet mich, liebt mich, ist für mich da.“

Soweit der allzeit vor Polgar sich verneigende Kollege. Tucholsky, weiß Gott ein Sprachbeherrscher, hat erkannt, dass zwischen den meisten seiner Kollegen und dem geborenen Kaffeehaus-Sitzer aus der Wiener Leopoldstadt ein himmelweiter Rangunterschied bestand: Keiner hat formuliert wie Polgar, kam so sicher, so elegant auf dem schlichtesten grammatikalischen Wege ins Zentrum des Gemeinten.

Allein sein kurzer Text, apropos Kaffeehaus, über das Café Central enthält eine Fülle von Pointen, die bei jedem anderen Feuilletonisten ausreichen würden, sich seinen Lesern für ein ganzes Jahr intensiver Produktion als brillanter Kopf zu präsentieren.

Manche dieser Gemmen haben sprichwörtlichen Charakter erlangt. Etwa jene, dass ein Kaffeehaus von Leuten frequentiert werde, „deren Menschenfeindschaft so heftig ist wie ihr Verlangen nach Menschen, die allein sein wollen, aber dazu Gesellschaft brauchen“.

Oft erweist sich Polgars wundersam geerdete Welteinsicht; mag sein, ein genialer Kollege hätte den ersten der beiden folgenden Sätze zu formulieren gewusst, den zweiten hintendranzufügen, war nur Polgar selbst beschieden: „Das Café Central“, so schreibt er, „ist nämlich kein Caféhaus wie andere Caféhäuser, sondern eine Weltanschauung, und zwar eine, deren innerster Inhalt es ist, die Welt nicht anzuschauen. Was sieht man schon?“

Ja, was sieht man denn schon, wenn man in die Welt hinausschaut? Polgar schaute in die Menschen hinein – und entlarvte alles psychoanalytische Über-den-Kamm-Scheren als untauglichen Versuch, weil jedes Kleinste in seinem Ureigensten erkannt sein will – und nicht mit irgendetwas anderem vergleichbar ist.

Drum fühlen sich ja nicht nur die Damen der Schöpfung, wie Tucholsky wohl richtig erkannt haben dürfte, von diesem Mann verstanden.

Drum hat er natürlich nicht nur die profundesten Analysen künstlerischer Leistungen in das Theater, sondern solche der allzumenschlichen Schwächen auf Punkt und Komma zu bringen gewusst.

Drum hat er natürlich auch über Liebesdinge geschrieben wie kein anderer. Drum ist der Mittwochabend im Musikverein eigentlich ein Pflichttermin für alle, die die Liebe und die deutsche Sprache lieben . . .

Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2016)

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