Zubin Mehta versucht sich erst gar nicht als Dompteur

Warum Musikvereins-Chef Thomas Angyan immer wieder betont, dass er Schönbergs „Gurrelieder“ nicht mehr ins Programm nehmen wird.

Na und dann mag Gott sich selber gnaden“, kommentiert Klaus-Narr die wüsten Umtriebe des Wilden Heers im Finale von Arnold Schönbergs „Gurreliedern“. König Waldemar hat mit Gott gehadert, weil der ihm seine Geliebte in jugendlichem Alter geraubt hat. Nun zieht Waldemar als Stürmebezwinger wie einst Wotan durch die Lüfte.

Das macht Lärm. Schönberg inszeniert das metaphysische Gewitter wie eine gigantische Paraphrase auf Hagens Mannenruf aus der „Götterdämmerung“ – nur potenziert: Singverein, Staatsopernchor und Kammerchor sind aufgeboten, und die größte Orchesterbesetzung jenseits von Mahlers Achter (ein wenig später als Schönbergs Oratorium komponiert, aber früher uraufgeführt).

Die „Gurrelieder“ hatten im Großen Musikvereinssaal Premiere. Das war 1913. Sie bescherten dem Komponisten den größten Triumph seines Lebens. Wenige Wochen später ereilte ihn die Katastrophe: Das Konzert mit neuesten Kompositionen – gar nicht mehr spätromantisch wagnernd – musste nach heftigen Publikumsprotesten abgebrochen, der Saal polizeilich geräumt werden. Kritiken gab es nicht mehr, nur noch den Polizeibericht in der Chronik.

Die „Gurrelieder“ aber blieben Schönbergs populärste Komposition, denn sie verbinden großes Spektakel mit prächtiger, ganz in Dur und Moll-Harmonien schwelgendem Klangzauber. Freilich: Das Konzerthaus öffnete erst einige Monate nach der Uraufführung seine Pforten. Dort sind die ins Gigantische aufgeblasenen „Lieder“ besser aufgehoben als am Uraufführungsort, denn der Musikverein platzt aus allen Nähten, wenn das Stück angesetzt ist. Der Damenchor – nur fünf Minuten aktiv! – sitzt in den Balkonlogen, das Orchesterpodium ist bis in die siebente Reihe des Parketts vorgezogen und die Sänger haben kaum noch Platz für ihre Auftritte.

Sie sind über weite Strecken auch kaum zu hören, denn die Philharmoniker machen kein Hehl aus der Tatsache, dass es kracht, wenn über 100 Musiker so enthusiastische „Tristan“-Echos erklingen lassen.

Zubin Mehta macht auch keine Anstalten, die Hundertschaft bezähmen zu wollen. Er weiß, dass es noch keinem gelungen ist, in diesem Rahmen akustische Ordnung und Disziplin ins üppig-süffige akustische Schönheitsbad zu bringen.

Die Wogen schwappen über Violeta Urmanas Tove genau so zusammen wie über Daniela Denschlags Waldtaube oder gar Igor Shukoffs Waldemar – was zu hören war, klang dunkel und schön timbriert ...

Netter behandelt Schönberg die Komparserie: Gerhard Siegels Klaus-Narr und Thomas Quasthoffs Sprecher gelangen Kabinettstücke – Alexander Tsymbalyuks Bauer war der Kräftigste von allen. Musikvereins-Chef Thomas Angyan hat schon vor Jahresfrist angekündigt: Es werden die letzten „Gurrelieder“ seiner Amtszeit. Er wusste schon zur Pressekonferenz, warum. Das Publikum weiß es jetzt auch.

E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2012)

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