„Wien Mitte“ wirbt mit Noever und Matt im Betonkastl

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Die Kunst steht unter Generalverdacht, den Spaß lässt sie sich trotzdem nicht verderben: Erwin Wurm lässt zwei Ex-Direktoren öffentlich trotzen.

Ein nackter Karl Merkatz, der wie Diogenes in einem Fass mitten auf der Baustelle steht. Elfie Semotan, die wie eine gefallene Göttin auf dem Bauch am rohen Betondach von Wien Mitte liegt. Eine Kinderarmee, die mit Waffen im Anschlag durch die Gänge streift und den Baufortschritt bejubelt.

Der ochsenäugige Koloss „Wien Mitte“ ist eröffnet. Und was mich daran am meisten schmerzt, sind zwei Dinge – Louise Bourgeois' letzte Auftragsarbeit, bevor sie 2010 in den USA starb, eine sieben Meter hohe, hängende Aluminiumskulptur, wird erst nächstes Jahr montiert. (Dafür ist Esther Stockers gewohnt geometrisch-abstrakte Gestaltung des Eingangsbereichs schon da.) Und zweitens: Die ungewöhnliche Werbekampagne, die sich die Errichtungsgesellschaft über die langen Baujahre hin leistete, ist hiermit wohl zu Ende. Diese Plakate und Inserate waren das manchmal frappierend mutige Gegenteil einer klassischen Imagekampagne, hat man dazu doch tatsächlich zeitgenössische Künstler angeworben, was bei einem derart umstrittenen Büro- und Einkaufszentrum alles andere als sonderlich zielgruppenorientiert erscheint. Toll, unorthodox, provokant.

Zwar hofft man ja gerne, dass der durchschnittliche Österreicher die erfolgreichsten Künstler des Landes kennt, Gottfried Helnwein (der die Motive mit den Kindersoldaten beisteuerte) oder Erwin Wurm (der u.a. Merkatz und Semotan inszenierte). Die Wahrheit ist aber, dass diese Namen weder einer Zeitungsredaktion geschweige denn dem Publikum eines Großkinos, das Wien Mitte gegenüber liegt, durchgängig geläufig sind. Umso seltsamer wird es, wenn diese ihre Chance dann auch noch dazu verschwenden, einen Szenewitz ins Bild zu setzen, wie es Wurm beim jüngsten Wien-Mitte-Inserat tat: Es zeigt das derzeit prominenteste unfreiwillige Frühpensionisten-Paar der Wiener Kunstszene, Gerald Matt und Peter Noever, wie sie zu zweit in einer Betonnische hocken. Alles andere als reuig, der ehemalige Chef der Kunsthalle Wien hat eine Orange am ausgestreckten Mittelfinger stecken, der Ex-MAK-Chef gleich zwei der Früchtchen auf den zum Victory-Zeichen gespreizten Fingern. „Ideen brauchen eben Raum“, lautet der Wien-Mitte-Werbespruch dazu. Sehr witzig.

Man hätte beide Herren hin und wieder gerne gegen manche Vorwürfe verteidigt, die zu ihren unrühmlichen Abgängen geführt haben. Was man jetzt aber vor allem muss, ist die Kunstszene gegen den mittlerweile lustvoll vorgebrachten, aber unverschämten Generalverdacht durchgängiger Korruption zu verteidigen. Und zwar vehement. Derlei selbstgerechte Inszenierungen und ironische, letztendlich aber unreflektierte Solidaritätsbekundungen (Wien-Mitte-Inserat, Homepage propeternoever.at etc.) sind dabei nicht wahnsinnig hilfreich.

E-Mails an: almuth.spiegler@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2012)

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