Du holde Kunst, sleep well im Zeitengestürme

Einsam stand vor dem Kölner Dom eine nackte Performerin. Trauriges Symbol für eine von der Situation paralysierte Kunstszene.

Zehn Minuten stand eine junge, sehr schöne Frau nackt vor dem Kölner Dom und hielt ein Plakat: „Respektiert uns! Wir sind kein Freiwild, selbst wenn wir nackt sind!!!“ Eine Woche ist das her, im Netz gab es vor allem Häme für diese Performance, die als künstlerischer Akt zu verstehen war. Denn die Frau war die Schweizer Performerin Milo Moiré, die zuletzt eher als Unikum bei Kunstmessen auftauchte, bisher nur ein aufpoliertes Sternchen im vorwurfsvollen Schatten einer ewig langen feministischen Performance-Tradition weiblicher Nacktheit von Marina Abramović über Yoko Ono und Valie Export. Aber wo sind sie heute, diese Generationen radikaler Künstlerinnen? Export wurde nicht mit Puffen und Aktionshose (im Schritt frei) auf dem Kölner Domplatz gesehen. Abramović hat nicht zumindest Sessel und Tisch aufgestellt, um ein wenig Energie an Verzweifelte aller Lager weiterzugeben. Yoko Ono hat keinem Flüchtling die Schere gereicht, um sich die Kleider vom Leib schneiden zu lassen. Natürlich geschahen diese Performances einst in (relativ) geschützten (Kunst-)Räumen. Sie sind allerdings auch schon 30, 40 Jahre her.

Etwas Besseres, nein überhaupt irgendetwas ist der in eigenen Angelegenheiten sonst doch so kämpferischen jungen feministischen Künstlerinnen-Generation bisher nicht eingefallen. Still und stumm und starr traben sie in ihre Kunstvereine und versenken sich in verschwurbelte interne Diskurse, ironische Modernismus-Zitate, formalistische Selbstreferentialität und anderen elitären Kauderwelsch. Paralysiert von einer noch nie da gewesenen Situation, in der sie sich erst einmal neu orientieren müssten, zwischen Realität und Wunsch, links und rechts, Alice-Schwarzer-Feminismus und Post-Queer-Aktivismus. Um sich dann durch das alles auch noch mit einer vielleicht ja sogar provokanten künstlerischen Äußerung Karriere- und Peergroup-sicher durchzulavieren.

Menschlich, oder? Mutig war bisher nur die einsame nackte Amazone. Ansonsten tut die europäische Kunstszene einfach so, als gäbe es gerade keine Mega-Herausforderung durch fundamentale kulturelle Unterschiede! Man muss schon lange suchen, bis man etwa im Wiener Künstlerhaus eine (schon ältere) Solidaritätsarbeit mit Haarlocken für die Freiheit ägyptischer Frauen findet (Karin Hannak). Bis man herauskriegt, dass die Angewandte, vor allem die Klasse Social Design, sich in einem Flüchtlingsquartier zumindest sozial engagiert.

Künstlerisch aber Eskapismus pur. Von den hereintrudelnden Ausstellungsprogrammen dieses Jahres gar nicht erst zu reden! Historische Museen könnten doch locker aus ihren Sammlungen heraus unser Islamverständnis unterfüttern, zeitgenössische Häuser Künstler aus Krisengebieten einladen etc. Stattdessen werden „Bedingungen kuratorischen Arbeitens zur Debatte gestellt“ und Künstler-Reaktionen auf die „Spätphase des Modernismus“ eingeholt, wie etwa die Kunsthalle Wien gestern bekannt gab. Freier Eintritt für Flüchtlinge! Wir führen euch persönlich durch unsere Ausstellungen! Das wären einmal (populistische) Ansagen, eine Pressekonferenz wert. Aber nein. Du holde Kunst, sleep well im Zeitengestürme.

E-Mails an: almuth.spiegler@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2016)

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