Wem der Rapper Sido noch alles eine reinrappen sollte

Man müsste das Honorar des Rappers erhöhen, denn der ORF, Stabsstelle Belustigung, leidet unter Abwatschungsüberreife.

Ich mache meine Tür auf, weil ich durch den Spion meinen Freund, den Trottel, draußen übers ganze Gesicht strahlen sehe. Und was macht er? Er – so seine tirilierende Rede – „rappt“ mir eine „rein“, woraufhin ich eine „Schwalbe“ machen, das heißt im Mimenjargon, scheinohnmächtig zu Boden gehen soll. Mir reicht's. Mit einem Unterkiefer, der sich bamstig anfühlt, will ich meinen Freund, den Trottel, scharf abmahnen.

Er solle sich gefälligst nicht wie Sido, der unwürdige Rapper, aufführen, welcher – wie ganz Österreich (und halb Deutschland dazu) mit klammheimlicher Freude beobachten durfte – den Society-Moderator Dominic Heinzl vor laufenden Kameras mit einem Faustschlag niederstreckte. Doch mein Freund, der Trottel, hat es, wie er mir tirilierend versichert, während er mich enthusiastisch in seine Arme schließt, nur gut gemeint. Nur!

Er hat es nur gut gemeint, denn es könne jedem bloß guttun, wenn er ab und zu, vor allem unter Umständen, die er unmöglich voraussehen kann, abgewatscht werde. Und natürlich weiß mein Freund, der Trottel, der unglaublich belesen ist in Fragen der Menschheitsverbesserung, sofort einen Locus classicus zu zitieren: Heimito von Doderers Wutmenschenepos „Die Merowinger“.

Dort wird von einer Firma namens Hulesch & Quenzel mit Sitz in London berichtet, die sich auf die Bereitung „gelegentlicher Ungelegenheiten“ spezialisiert hat. Unter den diesbezüglichen Maßnahmen findet sich die unerwartete Verabreichung einer schallenden Ohrfeige an Menschen, welche auf der Straße ein hochmütiges Gesicht vor sich hertragen. Nach wenigen pädagogischen Applizierungen beginnen die solcherart Behandelten ein demütiges Aussehen anzunehmen, sobald sie einen Fuß auf den Gehsteig setzen. Jetzt werde ich fuchtig, denn ich lasse mir nicht nachsagen, dass ich, ein bescheiden pragmatisierter Philosophiebeamter, jemals mit einem hochmütigen Gesicht die Tür zu meiner bescheidenen Beamtenwohnung geöffnet hätte.

Mein Freund, der Trottel, ist indessen mit seinen menschheitsverbessernden Reflexionen schon weiter: Sido fungiere verdeckt als Abgesandter von Hulesch & Quenzel, weswegen er – tätlicher Angriff hin oder her – von der Belustigungsstabstelle unseres Staatsfunks zurückgeholt worden sei. Und wozu wohl, na? Offenbar nicht, um dem Heinzl bei erstpassender Gelegenheit noch eine „reinzurappen“, und zwar je unerwarteter, hahaha, desto besser! Stattdessen, tiriliert mein Freund, der Trottel, der alles andere als blöd ist, liege die Annahme nahe, dass die Führungsspitze des Belustigungs-ORF durch ihre Rückholaktion des offizialdeliktischen Rappers quotenbewusst demonstrieren wollte, dass sie selbst überreif für eine Runde von Abwatschungen sei.

Und da sie sich bereits seit Langem im Belustigungszustand der Abwatschungsüberreife befinde, könnte ihr Sido, nachdem er den Heinzl „verarztet“ hat, nun ebenfalls beistehen, ohne deswegen sein Honorar von kolportierten 80.000 Euro um eine Watschenzulage erhöhen zu müssen. Obwohl – eine Zulage wäre durchaus gerechtfertigt! Denn Sido würde dem Rundfunkgebührenzahler damit die große Chance eröffnen, im Rahmen der Belustigungskultur des ORF zu bekommen, wonach sich dieses Land klammheimlich sehnt: nämlich, die Hauptverantwortlichen der Quotenhochkitzelungsmoral unseres Staatsfunks einmal tüchtig abgewatscht zu sehen – natürlich, um sich anschließend „auszusprechen“, halt so, wie das, laut Peter Rapp, Österreichs Grandseigneur des Entertainments, „erwachsene Menschen“ tun.


E-Mails an: peter.strasser@uni-graz.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2012)

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