Von Zungen in fremden Ohren und eingeseiften Schugamoms...

...und warum mich der Gedanke fröhlich stimmte, meine verbrannten Mandelzwicker an Levitikusfans zu verfüttern.

Eigentlich weiß ich gar nicht, warum ich fröhlich bin. Gestern sind meine Mandelzwicker verbrannt, weil ich bei den Abendnachrichten im Fernsehen hängengeblieben bin, wo gerade eine Genderexpertin erklärt hat, dass, wenn ich, sagen wir, als Frau vor einer geregelten Kreuzung auf das Grünwerden der Ampel warte, es durchaus möglich wäre, dass ich mich sexuell belästigt fühlte, falls ein neben mir stehender fremder Mann mir seine Zunge ins Ohr steckte, obwohl ich nach allen Regeln der Rechtskunst meine Ohrmuschel nicht als Sexualorgan geltend machen dürfte.

Die Frage der begriffsstutzig tuenden Reporterin, ob es denn zur Realisierung des Tatbestands der sexuellen Belästigung ausreiche, dass man sich als Frau sexuell belästigt fühle, parierte die Genderexpertin dahingehend, dass, wenn es in diesem Fall nicht ausreiche, dann die Konsequenz logischerweise sein müsste, dass die in meinem Ohr steckende fremde männliche Zunge den Tatbestand der sexuellen Belästigung niemals erfüllen könnte, wodurch ich als Frau zu gewärtigen hätte, auf offener Straße wie Freiwild behandelt zu werden.

Der alarmierende Gedanke einer mir in meinem Ohr steckenden fremden männlichen Zunge wollte mich nicht mehr loslassen („wäääh!“), obwohl im Fernsehen bereits über die neueste Sexualaufklärungsbroschüre für unsere Sechs- bis Zwölfjährigen diskutiert wurde – ein „Machwerk“, welches Aktionistinnen der Katholischen Aktion empörte, weil in keiner Weise die Vorschrift des Levitikus 20,13, Unzucht zwischen Männern mit dem Tode zu bestrafen, auch nur ansatzweise zitiert, geschweige denn differenziert erwogen wurde – im Gegenteil!

Und schon begann der Nachrichtensprecher das neueste Opus unseres Menschenfilmers, Ulrich Seidl, zu würdigen. Darin geht es um fettleibige Sugarmamas („Schugamoms“), die, als frustrierte Sextouristinnen an Kenias Strände gereist, unter den zunächst ein wenig ungelenken Händen der nach Kokosnussöl duftenden schwarzen Beachboys Erleichterung suchen. Mir hingegen wurde keine Erleichterung zuteil, denn nun stellte sich der nächste alarmierende Gedanke ein, und zwar des Inhalts, ob ich nicht etwa an einer homophoben Tendenz litte.

Warum sonst, bitte schön, sollte ich eine fremde männliche Zunge in meinem Ohr widerlich finden? Ungeachtet des Umstandes, dass ich mich infolge der eindringlichen Schilderung der Genderexpertin eindringlich an die Stelle einer Frau zu versetzen suchte, welche sich einer erregten Männerzunge in ihrer Ohrmuschel zu erwehren trachtet, musste ich mich als Mann doch fragen, was ich – sine ira et studio – dagegen auszusetzen hätte, falls mir eine fremde Zunge gleichen Geschlechts im Ohr stecken würde. Na?

Sei dem, wie es sei, die Vorstellung war mir einfach widerlich („wäääh!“). Dabei sah ich einer Seidl'schen Schugamom zu, wie sie sich ihre Brüste und sonst allerlei Körperteile, die unserer Rechtskunst ohne Weiteres als Sexualorgane gelten, von einem Beachboy hingebungsvoll einseifen ließ, ohne dass mir recht klar geworden wäre, warum ich bei so etwas zusehen sollte. Das hungernde, Aids-durchseuchte, von Unruhen gebeutelte Kenia musste wohl auf einem anderen Planeten liegen. Egal, inzwischen verbrannten meine Mandelzwicker (reguläre 170 Grad im Backrohr), sodass man sie höchstens an Sextouristinnenfilmer, Levitikusfans und Unholde, die ihre Zunge in fremde Ohren stecken, hätte verfüttern können. Levitikus light, sozusagen – dieser Gedanke stimmte mich fröhlich, ich weiß eigentlich gar nicht, warum.


E-Mails an: peter.strasser@uni-graz.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2012)

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