The same procedure as every year . . .

Also fielen, knapp vor Neujahr, mein Vollmops Paul und ich, der sexbesessenen Zeit zum Trotz, in unseren Prüderieschlaf.

Kaum hat das neue Jahr begonnen, schon läuft mir der Raunzer über den Weg. Das kann einem die frischeste Neujahrslaune verderben. Ich trage gerade meinen Vollmops Paul äußerln, der mich mit Basedow'schen Äuglein metaphysisch anschaut, als wollte er sagen – und will er's denn nicht? –, das neue Jahr möge haargenau so werden wie das alte: The same procedure . . .
Ich glaube, Pauls nietzscheanisch-buddhistische Neujahrseinstellung hat damit zu tun, dass wir auch heuer wieder einmal Silvester verschlafen haben.
Was meine Meerschweinchen Fritzi & Fratzi angeht, bedarf unser Schlafverhalten keiner Erwähnung. Obwohl das Hausmeerschweinchen (cavia porcellus form. domestica) tagsüber putzmunter ist, um nachts desto besser zu schlafen, fallen Fritzi & Fratzi, kaum haben sie den Mund voller Biokörndln (und sie haben den Mund immer voller Biokörndln), in einen Vorverdauungsschlaf, dem sich, begleitet von reizenden Flatuliergeräuschen, der eigentliche Verdauungsschlaf anzuschließen pflegt. Dabei strecken sie, im Futterschüsselchen auf dem Rücken liegend, ihre wuscheligen Knuddelbäuchlein nach oben – nach dorthin, wo ein gütiger Himmel nach unten wirken möge, um ihre zarten Meerschweinchenseelen auch 2013 zu beschirmen! Und derart, nämlich wonniglich schlafend, danken sie's dem Leben, dass es sie beide gibt.

Paul und ich hingegen verschliefen heuer wieder einmal Silvester, weil wir uns entschlossen hatten, zum Höhepunkt des TV-Jahres die Vormitternachtsausstrahlung des unsterblichen Sketches „Dinner for One“ anzuschauen. Als nun aber im Sketch der hochbetagte Butler namens James infolge des ohne Unterlass geäußerten Trinkwunsches seiner Herrin, der hochbetagten Miss Sophie – „The same procedure as every year, James!“ –, das elfte Mal über das Tigerschädelpräparat am Ende des vor der Anrichte lauernden Tigerfells balanciert, waren Paul und ich wieder einmal geniert.

Wir wussten es ja längst auswendig: Gleich würden die beiden hochbetagten Protagonisten, sich gegenseitig abstützend, die Stiege des sonst toten Hauses hinaufwanken, dem Schlafzimmer Miss Sophies entgegen – „The same procedure as every year, James!“ –, begleitet von des erschöpften Butlers verständigen Worten erotischer Kapitulation: „Well, I'll do my very best.“ Also fielen Paul und ich, der sexbesessenen Zeit zum Trotz, knapp vor Mitternacht wieder einmal in unseren reinigenden Prüderieschlaf.

Dann, am nächsten Tag, trage ich fröhlich gestimmt meinen Paul in aller Herrgottsfrüh – 2013 dämmert durch und durch jungfräulich – hinunter in den menschenleeren Hof zum Äußerln. Und bums, pralle ich gegen den übernächtigen Raunzer, während Paul gerade dabei ist, sich neben seinem Lieblingsstrauch, dem auch winters zartrosa blühenden Seidelbast, himmlisch zu erleichtern.
Und was raunzt der Raunzer mit mieselsüchtigem Blick auf Paul, der wieder hochgehoben und, in meinen Armen ruhend, abgeschmust werden möchte? Der Raunzer raunzt, erst vergangene Nacht habe er sich die Nachmitternachtsausstrahlung des „Dinner for One“ angeschaut, bloß, um im eben erst neuen Jahr an das eben noch alte erinnert zu werden: „The same procedure as every year!“ Jawohl, so möge es sein, denk ich bei mir, während ich Pauls plattgedrücktes Schmuseschnäuzelchen schmusend plattdrücke. Der Raunzer indes hat keinen Sinn für das, was Sinn hat. Wir anderen hingegen schöpfen – o grausam fliehende Zeit! – wieder einmal Hoffnung fürs wieder einmal neue Jahr: The same procedure . . .

E-Mails an: peter.strasser@uni-graz.at

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