Über den Gemeinspruch: „Ein bissel was geht immer!“

Mein Lieblingsurologe, der seinen Hegel nicht gründlich studiert hatte, versicherte mir neulich: „So geht's nicht!“

Penibel hatte ich mir meine Patientenverfügung ins Revers meines Sakkos eingenäht (wie einst Pascal sein Memorial nach einer Nacht im heiligen Feuer), während ich an drei Stellen meiner sterblichen Hülle einen Hinweis darauf anbrachte, wo sie für den Fall der Fälle zu finden sei. Mein Freund, der Trottel, findet das supertoll. „So geht's!“, jubiliert er, während ich gerade dabei bin, meine Patientenverfügung, die bereits 1273 Punkte umfasst, aus meinem Revers herauszutrennen. Blöd. Saublöd. Eingedenk der neuesten Apokalypsen will ich sie um einen Punkt erweitern. Unter Punkt 1274 schreibe ich, in dankbarer Erinnerung an Monaco Franzes Leibspruch, den er gern an sein Schatzl richtete: „Ein bissel was geht immer!“

Nicht nur außerhalb der Spielcasinos haben jetzt die Nichts-geht-mehr-Experten Hochsaison. Sogar Präsident Hollande soll gesagt haben: „Rien ne va plus.“ Und erst neulich versicherte mir mein Lieblingsurologe: „So geht's nicht!“ Dabei inspizierte er seinen entdeckungslustigen Urologenfinger, den er gerade noch irgendwo tief in mir drinnenstecken hatte – ich will gar nicht wissen, wo – mit jener kindlichen Forscherneugier, die (so male ich mir das aus) Charles Darwin auf Galapagos gezeigt haben mag, als er des ersten Darwinfinken ansichtig wurde, noch ohne zu wissen, dass dieses fiedrige Kerlchen, ein originellschnäbliger Einfall im Kampf ums Überleben, seinen – nämlich Darwins – Namen trug.

„Ein bissel was geht immer!“, schnauze ich meinen Freund, den Trottel, an, der mir bereits schreiend vor Begeisterung rechtgibt, bevor ich ein Wort der Erklärung darüber herauswürgen kann, warum ein bissel was immer geht. Egal, das Fingerentdeckungserlebnis meines Lieblingsurologen werde ich, rektal traumatisiert, in Hunderten von Sitzungen bei meinem Lieblingspsychotherapeuten, der sich gerade hat umoperieren lassen (ich glaube, ich habe jetzt eine sexy Lieblingspsychotherapeutin, was ich, nebenbei gesagt, super finde, denn dadurch wird sich mein von meinem Ödipuskomplex bisher verdrängter Elektrakomplex endlich bearbeiten lassen), um 400 Euro à 45 Minuten abarbeiten müssen.

Billig ist das nicht, oder? Ich kann nur hoffen, dass wir hier, im Land des Sigmund Freud, nicht zypriotische Zustände bekommen, weil ich sonst mangels Bargeld (mein umoperierter Lieblingspsychotherapeut will nur Cash, das findet er, neuerdings hetärenhaft gestimmt, sexy), nicht mehr weiß, wohin mit meinen eigenen Zuständen. Bis dahin drückt mich mein Freund, der Trottel, der den ganzen Hegel von vorn bis hinten studiert hat, im dialektischen Dreischritt derart geistvoll an seine Brust, dass ich fürchte, meine Lieblingspneumatologin konsultieren zu müssen.

„Und?“, japse ich, „was hat denn der Hegel mit meinen Zuständen zu tun?“ Gleich wird mir – ich fühle mein Pneuma entweichen, mir fällt immerhin ein, dass Pfingsten nicht mehr weit ist, da geht pneumatisch immer ein bissel was (das wäre Punkt 1275 meiner Patientenverfügung) – tirilierend eine ganz und gar nicht blöde Antwort zuteil: „These: So geht's! Antithese: So geht's nicht! Synthese: Ein bissel was geht immer! Toll, oder?“

Ja, mein Freund, der Trottel, der den ganzen Hegel von vorn bis hinten studiert hat, ist eben ein dialektisches Genie. Dagegen kommt der Finger meines Lieblingsurologen – ich nenne ihn spaßeshalber nur noch „Darwinfinger“ – nicht an. Und seien wir ehrlich, der Darwinfink ist auch kein wirklicher Fink, nicht wahr? Ergo: Ein bissel was geht immer!


E-Mails an: peter.strasser@uni-graz.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2013)

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