Medikamente kaufen, jetzt!

Die Kurse stürzen nicht mehr ins Bodenlose? Das soll jetzt, ruckzuck, alles vorbei sein?

In den letzten Wochen nicht enden wollendes Morgengrausen: Gleich wird die Börse wieder öffnen und die Kurse werden wieder ins Bodenlose stürzen! Das soll jetzt ruck, zuck alles vorbei sein? Ich soll mich wochenlang umsonst zu Tode gefürchtet haben? Das mag glauben, wer will! Mir jedenfalls schmeckt mein in meinem düsteren Ofenrohr schlaff aufgewärmtes Biokipferl nach wie vor nicht. Nach wie vor zerfällt es mir zwischen den vom Geldwegstopfen aufgedunsenen Fingern. Jawohl, scheußlich schauen sie aus, die unförmigen Kipferlreste, die tot in meinem Milchmalzkaffee schwimmen.

Ich habe sogar bei der Rezeption der Wiener Börse angerufen. Wie käme ich dazu, nachdem ich mich wochenlang zu Tode gefürchtet habe, plötzlich Hoffnung zu schöpfen? Hieße das nicht, meine wochenlangen Sparbuchausräumungs- und Bargeldversteckaktivitäten, gefolgt von wochenlangem Starren auf die mit einem verschrumpelten Magermilchhäutchen gelblich überzogenen Reste meines tot in meinem Milchmalzkaffee schwimmenden Biokipferls, seien gar keine börsenadäquate Performance gewesen?

Derart bedränge ich die nette Rezeptionistin an der Börse, von der ich wissen will, warum die Welt jetzt angeblich doch nicht ins Bodenlose stürzt. Waren die Verluste nicht wochenlang in die Fantastilliarden gegangen – ein Ausdruck, den ich im exzellenten Wirtschaftsteil der „Micky Maus“ gelesen habe, und zwar anlässlich eines Berichts über den wiederholten Versuch der dummen Panzerknackerbande, Onkel Dagoberts Geldspeicher auszurauben? Die nette Rezeptionistin an der Börse, die, glaube ich, auch schon für den Wirtschaftsnobelpreis nominiert war, tut aber, als ob sie keinen Onkel Dagobert kennen würde. Ich soll mein sauer Erspartes ja nicht nach Hause tragen, ja nicht! Denn die Kurse werden gleich in den Himmel schießen. Sie will nicht zu viel versprechen, sie sagt nur: Fantastillionen!


Das soll sie meinem Vollmops Paul erzählen, dessen Samtkissen ich mit meinem bescheidenen Beamtenvermögen ausgestopft habe, nachdem bereits alle meine Sparstrümpfe und außerdem die Schlafhäuschen meiner Meerschweinchen Fritzi & Fratzi vollgestopft waren. Das störte Fritzi & Fratzi kaum, weil sie ohnehin nur in ihrem Futterschüsselchen schlafen. Doch Paul, mein Sensibelchen, bekommt Afterjucken, wenn er die Eiderdaunenfüllung seines Samtkissens, auf dem er zu thronen pflegt, entbehren muss. So etwas lässt sich nur mit feinsten Analcremen und Gesäßlotionen behandeln.

Nachdem ich in meiner bescheidenen Beamtenwohnung alles Ausstopfbare mit meinem bescheidenen Beamtenvermögen ausgestopft habe, überlege ich mir nun eine sichere Anlagemöglichkeit. Gold? Zu schwer, wird fallen! Mein Tipp als Besitzer eines begehbaren Medikamentenschranks, den ich mittels zinsgünstigen Auslandskredits finanziert habe: Medikamente kaufen, aber keine Generika, bloß nicht! Was wäre wertbeständiger als die originale Kompakttablette oder Gelatinekapsel mit Granulatfüllung? Ich empfehle – und bin gerne bereit, für das Wirtschaftsnobelpreiskomitee eine Zusammenfassung auf Englisch zu formulieren – Betäubungsmittel samt Stimmungsaufheller in der Großklinikumspackung. Sollten die Kurse ins Bodenlose stürzen: Selber schlucken!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2008)

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