Warum der Heilige Geist die Freigeisterkirche spaltet...

Wenn man den heiligen Geist nicht großschreiben soll, wie soll man den Heiligen Geist dann schreiben: klein?

Kaum ist das österliche Auferstehungswunder heil überstanden, weht der Heilige Geist vor der Tür. Das ist, vom Standpunkt der Freigeistigkeit aus, buchstäblich eine Provokation.

Ja, die Kirche der freien Geister (KFG), auch Freigeisterkirche (FGK) genannt – kurz KFG/FGK resp. FGK/KFG –, verficht als Glaubenssatz (sententia fidei proxima): „Du sollst den heiligen Geist kleinschreiben“, abgeleitet aus dem freigeistigen Dogma (de fidei): „Du sollst nicht an den Heiligen Geist glauben.“ Man nennt diesen Glaubenskomplex die „Freie Ansicht zum heiligen Geist“, was, wie es scheinen könnte, undogmatisch genug sei, um Pfingsten freigeistig einigermaßen unbeschadet zu überstehen.

Ostern ist ohnehin schlimm genug, oder? – eine Provokation, aber immerhin bis zum nächsten Jahr vorbei. Bis dahin wird nicht mehr wiederauferstanden, wozu der Freigeist am liebsten „Gott sei Dank!“ sagen möchte, wäre den Mitgliedern der KFG/FGK nicht aus selbstbestimmter Freigeistigkeit geheißen: „Du sollst nicht Gott sei Dank sagen.“ Dabei – das muss der freie Geist dem alten Fetischglauben konzedieren – kommt es zwar ausgesprochen selten vor, dass einer wiederaufersteht, aber wäre es doch der Fall, dass einer wiederauferstünde, dann müsste man sich der Sache eben freigeistig annehmen. Freigeistigkeit bedeutet ja mitnichten Engstirnigkeit. Man müsste vielmehr mit den Mitteln der erfahrungswissenschaftlich geschulten Denkungsart den Vorgang der Wiederauferstehung demonstrieren.

Dazu gehörte eine unter Umständen umständliche Echtheitsprüfung, und zwar dadurch, dass man für den Fall eines erneuten Ablebens des Wiederauferstandenen – ein Exitus, der nach allen bekannten Tatsachen der biologischen Wahrscheinlichkeit irgendwann zu erwarten wäre – methodisch einwandfrei feststellte, gemäß welchem Naturgesetz der erneut Abgelebte erneut aufzuleben begänne. Bloß keine kleingeistigen Reanimationstabus!

Freilich gibt es in der FGK/KFG auch die sophistische Erwägung (wo fehlte das Sophisma gänzlich?), der zufolge das Phänomen der Wiederauferstehung eine „Singularität“ bilden würde, vergleichbar dem Urknall, kraft dessen, nach dem heutigen – oder bereits gestrigen? – Stand der Himmelswissenschaft, die Welt mit einem Schlag zu existieren begann.

Wäre es, so der freigeistige Sophist, angesichts der unbezweifelbaren Existenz der Welt etwa ein Beweis gegen den Urknall, falls sich herausstellte, dass es vor 14 Milliarden Jahren nur ein einziges Mal knallte? Angenommen – aber bitte, diese Annahme wird, unter Kopfschütteln und höhnischem Gelächter, selbst von den spekulativsten Freigeistern als „gedankenexperimentelle Farcefiction“ bezeichnet –, der liebe Gott (haha) hätte keinen Spaß daran gehabt, es noch ein zweites Mal urknallen zu lassen...

Doch das nur nebenbei. Hinsichtlich des freigeistigen Dogmas „Du sollst nicht an den Heiligen Geist glauben“ lautet nämlich ein neuerdings geäußertes Bedenken aus den Reihen derer, die sich „wahre Freigeister“ nennen: Wäre es wirklich gegen die „Freie Ansicht“, den heiligen Geist, der gerade unter menschlichem Vorzeichen das absolut Allerhöchste sei, großzuschreiben? Und folgte daraus nicht, dass der Glaubenssatz „Du sollst den heiligen Geist kleinschreiben“ regelrecht geisteslästerlich wäre? Nun steht die KFG/FGK vor einem Schisma: „Groß- oder Kleinschreibung?“, das ist die Frage. Das Zerwürfnis reicht tief. Einige hoffen schon auf Erleuchtung – zu Pfingsten, durch den Heiligen Geist.


E-Mails an: peter.strasser@uni-graz.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2012)

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