Braucht Europa tatsächlich eine Banken-Union?

Gastkommentar. Banken sollen künftig Zugang zu öffentlichen Hilfsgeldern erhalten. Keine gute Idee.

Wenige Tage nachdem die EU mit dem „European Stability Mechanism“ (ESM) einen dauerhaften Rettungsschirm beschlossen hat, ist in Deutschland ein heftiger Streit zwischen Wirtschaftswissenschaftlern und Politikern entbrannt. Die Kritik der Ökonomen richtet sich vor allem gegen die „EU-Bankenunion“. Herman Van Rompuy, Präsident des Europäischen Rates, hat Ende Juni einen Bericht vorgelegt, der eine EU-weite Bankenaufsicht und eine Interventionskompetenz für diese Aufsicht vorsieht. Das heißt: Auch private Banken erhalten Zugang zu öffentlichen Hilfsgeldern.

Die Mittel für diese Interventionen sollen aus Bankensteuern, dem Zusammenlegen nationaler Einlagensicherungen und dem ESM kommen. Die EU-Kommission soll kurzfristig Vorschläge für eine Gestaltung dieses Aufsichtsmechanismus vorlegen, die Ausarbeitung der Durchführung durch den „Ecofin“ (Rat der EU-Finanzminister, Anm.) ist bis Ende 2012 vorgesehen. Die Bankenaufsicht soll bei der EZB angesiedelt werden. Erst wenn eine einheitliche Aufsicht im Euroraum besteht, wird der ESM Banken direkt kapitalisieren können.

Ausgangspunkt war, dass sich Spanien gezwungen sah, um Mittel zur Rekapitalisierung seiner Banken bei den Euro-Rettungsfonds anzusuchen. Die Bankenhilfe wird an einen formal unabhängigen Staatsfonds überwiesen, sodass die aufgenommenen Mittel nicht dem spanischen Defizit zuzurechnen sind. Bisher war es möglich, dass ein Staat Mittel des ESM verwendet, um seinen Banken zu helfen – aber der Staat blieb selbst in der Haftung, und seine Schulden sind entsprechend angestiegen. Nunmehr soll der ESM nach Etablierung der zentralen Bankaufsicht Banken direkt finanzieren können.

Es ist aber schwer vorstellbar, dass eine zentralisierte Bankenaufsicht hinter die Bilanzen aller Eurobanken wird sehen können. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass selbst nationalen Bankenaufsichten das eine oder andere Problem verborgen geblieben ist. Selbst dann, wenn wir annehmen, dass eine solche Behörde im Prinzip errichtet werden kann, werden dafür mehrere Jahre notwendig sein.

Unklar ist auch, wie die Zusammenarbeit zwischen Europäischer Bankenaufsicht (EBA), der neu zu gründenden zentralen Bankenaufsicht und den nationalen Aufsichten funktionieren soll. Sollte die EZB eine entscheidende Rolle spielen, erhebt sich die Frage nach Interessengegensätzen zwischen Bankenaufsicht und Notenbank.

Zurzeit vollzieht sich der Kapitalaufbau bei den Banken zufriedenstellend. Die systemrelevanten Institute sollten Ende Juni 2012 neun Prozent hartes Kernkapital der risikogewichteten Aktiva aufgebaut haben. Dadurch werden Rettungsschirme für Banken künftig wohl geringere Bedeutung haben, als es zurzeit scheint.

Zweifel sind durchaus angebracht

Ein wesentlicher Unterschied zur Finanzierung von Staaten durch den ESM besteht aber darin, dass im Fall der Finanzierung von Banken das „Moral Hazard Problem“ zunimmt: Während die Budgets einiger Defizitstaaten inzwischen anscheinend ausreichend kontrollierbar sind, ist das Erreichen einer so genauen Kenntnis des Geschäftsbetriebs einer Bank irgendwo in der Eurozone durch eine zentrale Behörde wenig wahrscheinlich.

Obwohl der Zugang von hilfesuchenden Banken zum Kapital des ESM durch die Abstimmungsregeln nicht einfach sein wird, ist es verständlich, dass bei dem erheblichen zusätzlichen Risiko, das eine Vergemeinschaftung der Bankenhaftung mit sich bringt, sich Zweifler zu Wort melden, die an die gebrochenen EU-Verträge und nicht eingehaltenen Versprechen von Politikern erinnern. Hätte Deutschland die Drei-Prozent-Grenze des Stabilitäts- und Wachstumspakts nicht selbst verletzt, hätten wir möglicherweise die gegenwärtigen Probleme überhaupt nicht, oder in viel geringerem Ausmaß, und müssten die Banken-Union nicht „mit großer Sorge“ sehen.
Bernhard Felderer ist em. VWL-Professor der Universität Köln und ehemaliger Präsident des IHS.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2012)

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