Die gemeinsame Obsorge ist eine Waffe für den Machtkampf

Auf dem Weg zum neuen Familienrecht: Die automatische gemeinsame Obsorge kann von Eltern missbraucht werden.

Das Familienrecht wird derzeit heftig und breit diskutiert. Gut so. Das Bild einer Familie hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Sei das im Bereich der Aufgabenverteilung innerhalb einer Familie, bei der Zusammensetzung von Familien (Stichwort: Patchwork- oder Regenbogenfamilien) oder bei der Dauer der ehelichen Beziehungen. All dem sollte eine moderne Familienpolitik auch Rechnung tragen.

Wir leben nun einmal in einer Welt, in der Ehen geschieden werden können. 50Prozent und mehr sind davon betroffen. Darüber hinaus entscheiden sich auch immer mehr Menschen dazu, ein Zusammenleben ohne Ehe zu gestalten. Ist die Scheidungsrate per se etwas Schlechtes? Nein, denn es zeigt, dass Menschen sich nicht ihrem Schicksal ergeben und ihr Glück auch wieder neu finden wollen.

Trennen sich Eltern, ist es besonders wichtig, dass der Streit nicht weiter auf dem Rücken der Kinder ausgetragen wird. Gesetze müssen ausschließlich das Wohl des Kindes in den Mittelpunkt stellen, denn es gilt die Schwächsten zu schützen. Derzeit sieht das Gesetz vor, dass bei einer Scheidung oder Trennung, die alleinige Obsorge für die Kinder entweder Mutter oder Vater bekommt, sofern man sich bei der Trennung nicht gütlich auf eine gemeinsame Obsorge einigen kann. Warum macht das Sinn?

Man hört oft Geschichten von getrennten Paaren, die sich bis aufs Blut bekriegen. Unterlassung der Unterhaltszahlungen, permanente Vorwürfe, das Kind gegen den anderen aufzuhetzen und vieles mehr. Wenn eine Beziehung diesen Status erreicht hat, kann die gemeinsame Obsorge zum Machtinstrument missbraucht werden.

„Gemeinsame“ Obsorge bedeutet, dass jeder Elternteil allein Entscheidungen treffen kann. Im Klartext: Der eine Elternteil kann das Kind an einer Schule anmelden, der andere wieder ab. Die eigentlichen Verlierer in diesem Machtkampf sind die Kinder.

Gemeinsame Obsorge funktioniert nur dann, wenn die Eltern auch bereit sind, sich darauf einzulassen. Denn eines ist sicher richtig: Gemeinsame Lösungen sind möglich. Erst wenn Paare sich überhaupt nicht einigen können, entscheiden RichterInnen. Diese Entscheidungen müssen getroffen werden, damit klare Verhältnisse geschaffen werden.

Familienbilder anpassen

Der derzeit von Väterrechtsgruppierungen erhobene Vorwurf, dass RichterInnnen voreingenommen sind und fast immer zugunsten der Mütter entscheiden, ist unhaltbar. Natürlich bekommen Frauen öfter die Obsorge zugesprochen. In der Regel sind es sie, von denen Kinder hauptsächlich betreut werden. Entscheidungen zwischen Mutter oder Vater, bei denen sie zu gleichen Teilen am wirtschaftlichen und familiären Leben partizipiert haben – Frau und Mann in Vollbeschäftigung und Männer, die Haushalt und Kinderbetreuung zu gleichen Teilen mitübernehmen –, wären ausgewogener, wenn wir diesen Zustand schon hätten.

Erst, wenn Familienbilder sich der Jetztzeit anpassen, werden Obsorgestreitigkeiten ausgewogener entschieden werden. Wenn Mann und Frau als gleichberechtigte Partner vor dem Gericht stehen und nicht in unterschiedlichen Rollen. Das hängt von Frauen ab, die sich diesen Herausforderungen stellen, aber auch von Männern, die sie nicht mehr in die „Erzieherinnenrolle“ drängen. Der Kampf für Gleichberechtigung geht alle Menschen etwas an, nicht nur ein Geschlecht.

Vielleicht kann diese Gleichberechtigung der Frau innerhalb einer Familie bewirken, dass man sich sehr viel einfacher gütlich einigen kann. Schließlich zeigt uns die Geschichte, dass erst Partnerschaften auf Augenhöhe wirklich große Einigungen möglich machen.

Andrea Mautz ist Bundesfrauengeschäftsführerin der SPÖ-Frauen.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2012)

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