Kärnten braucht Kritik – und Alternativen für seine Zukunft

Der externen Kritik am südlichsten Bundesland mangelt es wie dessen interner Opposition an einem überzeugenden Gegenentwurf.

Tausche Kärnten gegen Südtirol – so lautet der kleinste Nenner für den Tiefgang des aktuellen Niedermachens eines möglichen europäischen Kleinods, das in Österreich nur noch zum Prügelknaben taugt. Dieses Offert ist trotzdem bemerkenswert, denn es entlarvt Oberflächlichkeit und Geisteshaltung der Anbieter: Weg mit dem offensichtlich wirtschaftlich-politischen Imageverlierer, her mit dem inzwischen prosperierenden Autonomiegewinner. Nicht nur Solidarität schaut anders aus. Der grundsätzlich berechtigten Außenkritik an Kärnten fehlt es oft an einem Minimum von Expertise und durchwegs am Aufzeigen von Alternativen.

Nun scheint Ersteres unvermeidlich angesichts eines massenmedialen Herdentriebs unter dem asozialen Netzwerkdruck von Twitter, Facebook und Postings. Da mutieren Millionen im Nu von Fußballexperten zu Olympia-Fachleuten zu Kärnten-Kennern. Infolge dieser vielstimmigen Eintönigkeit mögen auch die professionellen Kommentatoren nicht dem Publikum die Trennung der Spreu vom Weizen überlassen und übertreffen sich lieber in Zuspitzung als Differenzierung. Ein Musterbeispiel dafür ist Christian Rainers jüngster Leitartikel im „Profil“: „Die Demokratie gegen Kärnten – Zweifel an der Tauglichkeit eines Systems am Beispiel eines Bundeslands“.

Die fatale Alternativlosigkeit

Diese wie einige andere Kärntner-Beschimpfungen sind von Expertise getragen und verfolgen letztlich das hehre Ziel eines schmerzhaften Wachrüttelns der Mitbürger im Süden. Doch sie verschweigen die – wenigen – positiven Daten des Landes und es mangelt ihnen vor allem an klaren, verständlichen, plakativen Gegenentwürfen zur „Freiheit, die ich meine“ (Copyright: Jörg Haider). Solch Alternativlosigkeit ist zwar kein negatives Privileg der Kärnten-Diskussion, doch ihre Folgen werden in diesem gesellschaftlichen Sanierungsgebiet besonders deutlich.

Alternativlos ist mittlerweile das beliebteste Kampfvokabel zur möglichst diskussionsfreien Durchsetzung für fragwürdige politische Wünsche jeder Couleur – wie das schwarz-rot-blaue Milliardenloch von Koralm-, Semmering- und Brenner-Basistunnel. Solch herrschaftlich postulierte Auswahlverweigerung ortet der deutsche Politikwissenschaftler Herfried Münkler in seinem „Spiegel“-Essay „Die rasenden Politiker – Vom absehbaren Ende der parlamentarischen Demokratie“ als wahrhaft systemgefährdend: „Man hat die Opposition auch als ,Reserveregierung‘ oder ,Regierung im Wartestand‘ bezeichnet. Das ist zu wenig: Sie muss der Träger eines alternativen Programms bei der Bearbeitung der großen Herausforderungen sein.“

Das touristische Potenzial

An dieser Aufgabe scheitert die Opposition in Kärnten einerseits schon systembedingt aufgrund des Proporzes, dessen Abschaffung nun wenigstens SPÖ, ÖVP und Grüne gemeinsam betreiben (aber ohne FPK nicht durchsetzen können). Doch auch die Kritik von außen als quasi externe Opposition versagt vor diesem konstruktivem Ziel. Vom Bruttoregionalprodukt über Kaufkraft und Verschuldung bis zu Migranten- und Geburtenquote zitiert sie Schwachpunkte, aber unterschlägt historische Ursachen wie aktuelle Stärken, auf denen das Land aufbauen könnte.

So verzeichnete Kärnten 2011 nur 12,4 statt 1995 noch 14,8 Millionen Nächtigungen. Diesem Minus von 16Prozent stehen bei den Nachbarn Salzburg (23,9 Mio.) und Tirol (42,7 Mio.) neben weit höheren absoluten Zahlen auch ein Plus von sieben beziehungsweise fünf Prozent gegenüber (2011 hatte Südtirol 28,9 Mio. Nächtigungen). Der Jahrzehnte währende Rückfall ist aber auch Zukunftschance. Die Erfolge der Nachbarn zeigen, über welch riesiges touristisches Potenzial Kärnten verfügt, dem trotz verkehrstechnischer Benachteiligung beliebtesten Sommer-Inlandsreiseziel der Österreicher.

Die große Chance Bildung

Die noch größere Chance für das Land liegt aber in einem vollkommen unterbelichteten Aspekt seiner Bevölkerungsentwicklung: Es hat die aktuell beste Bildungsbeteiligung der 14- bis 19-Jährigen und die höchste Studierendenquote aller Bundesländer (ausgenommen den urbanen Sonderfall Wien). Ausgerechnet in der bundesweit meistverachteten Region Klagenfurt (Stadt wie Land) besucht mehr als die Hälfte der Jugendlichen eine höhere Schule. Das ist Österreich-Rekord. In den touristisch verwöhnten Bezirken Westösterreichs sind es weniger als 35Prozent.

Ursache wie Folge dieses Trends sind klar: Bildung bietet die beste Möglichkeit, um wegzugehen – und fortzubleiben. Denn anders als das Burgenland, der Vorgänger in Sachen nationaler Verspottung, liegt Kärnten nicht ums Eck von Wien; auch wenn die Flut der besserwisserischen Pamphlete gerade von hier dies glauben macht. Bei aller Berechtigung ihrer Schelte fehlt ihnen die Auswegsuche. Dazu gehört vorerst die Wertschätzung eines germanisch-romanisch-slawischen Schnittpunkts in Europa. Dass dessen Bevölkerung das überfällige interregionale Selbstbewusstsein bis heute scheut, liegt nicht ausschließlich an ihrem eigenen Verschulden.

Der Schnittpunkt Europas

Ein ständiges, pauschalierendes Bashing der Kärntner zu Trotteln der Nation bedient den Reflex des Abwehrkampfes gegen alles von außen und ist Wasser auf die Mühlen der Freiheitlichen. Denn Nachrichten wie jene von einer angeblichen (Umfrage-)Mehrheit für Rot-Grün bedienen zwar des Publikums Vorliebe für jegliche Duellsituation, beantworten aber nicht die Frage des Bürgers, was sich dadurch für ihn ändert. Vor allem jene, die jetzt eine höhere Schule besuchen oder studieren, brauchen neben ganz realen Arbeitsplätzen auch inhaltliche Argumente, warum sie bleiben oder wieder kommen sollen – 2020 ins Dreiländereck, dem Schnittpunkt Europas?

Bis 1969 hatte Tirol weniger Bevölkerung als Kärnten, das heute um 150.000 Einwohner hinten liegt. Sein kontinuierliches gesellschaftliches Abdriften ist die Folge eines Wechselspiels, dessen externe Ursachen kleingeredet werden, weil das Land sich so ideal als Stellvertreter für jegliche Abgründe der regionalen Politik eignet. Hinter dem Tummelplatz allen blauen Tunichtgute finden Provinzen voller schwarzer und roter Absonderlichkeiten viel Platz zum Verstecken.

Würde nur die Hälfte des Aufwands, der für die wortreiche Verdammung des Landes betrieben wird, in Ideen für dessen geistig-moralischen Wiederaufbau und seine wirtschaftlich-politische Zukunft gesteckt, es stünde bald besser da. Externe Kritik wie interne Opposition müssen einen überzeugenden Gegenentwurf zum Kärnten, das sie schelten, liefern. Nach dem endgültigen Gegenbeweis zu „Er hat euch nicht belogen“ (Copyright: Wahlwerbung Jörg Haiders) braucht dieses Land jetzt Hope, Change, Yes We Can – und jene Solidarität von Österreich, die Südtirol immer erhalten hat.

Zur Person


E-Mails an: debatte@diepresse.com

Peter Plaikner (52) ist Medienberater und Politikanalyst sowie Lehrgangsmanager für Politische Kommunikation an der Donau-Universität Krems. Zahlreiche Lehraufträge und Publikationen, zuletzt als Ko-Herausgeber von „Bundesländer und Landtage“ (Facultas) sowie „Luis Durnwalder – Südtiroler und Europäer“ (Styria). [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2012)

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