Zwei Jahre für „Hooliganismus“: Ist uns Moskau wirklich so nahe?

Replik. Ein Wiener Rechtsanwalt hat das Urteil gegen „Pussy Riot“ bewertet: Mit einem abwegigen Vergleich und Fehleinschätzung der Lage in Russland.

Die russische Punkband „Pussy Riot“ hat in der Moskauer Christ-Erlöser-Kirche Russlands starken Mann Wladimir Putin und den Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche mit einer politisch motivierten Performance provoziert. Drei daran beteiligte Frauen sind deswegen jeweils zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden.

Sie wären von einem österreichischen Gericht bei vergleichbarem Verhalten vielleicht ähnlich verurteilt worden, meint Rechtsanwalt Georg Vetter in seinem Gastkommentar „Pussy-Aufstand in Österreich? Moskau ist uns näher als gedacht“ („Die Presse“ vom 27. August). Schließlich würden auch hierzulande „Oppositionelle, die sich mit der Religion anlegen, ebenfalls gern strafrechtlich verurteilt“.

Diesem abwegigen „Vergleich“ aber muss man entschieden widersprechen. Was hat die feministische, regierungs- und kirchenkritische Punkrock-Band in Moskau getan? Sie hat in einer Kirche mit einer bewusst provozierenden, kurzen Tanz- und Gesangsszene insbesondere dagegen protestiert, dass sich der Patriarch vor der letzten, zum Teil umstrittenen Präsidentenwahl für die Wahl Putins ausgesprochen hat. Das geschah mit den Worten: „Mutter Gottes, Jungfrau Maria, vertreibe Putin! Der Patriarch glaubt an Putin – Mistkerl, glaub' lieber an Gott!“

Unverhältnismäßiges Strafmaß

Für diesen Auftritt verhängte das Moskauer Gericht eine zweijährige Freiheitsstrafe wegen Hooliganismus aus religiösem Hass. Das Urteil hat nicht nur in Russland selbst – ungeachtet sehr unterschiedlicher Einstellungen gegenüber solchem politischem Aktionismus – heftige Proteste hervorgerufen.

Es hat auch international bei westlichen Medien und Politikern bis zu Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Guido Westerwelle viel Kritik erfahren. Dabei standen kaum die Verurteilung als solche, sondern vielmehr das eklatant unverhältnismäßige Strafmaß sowie die bisher schon mehr als fünfmonatige Untersuchungshaft am Pranger.

Dass die jungen Frauen von „Pussy Riot“ die Religion beleidigt beziehungsweise aus religiösem Hass gehandelt haben sollen, wie das Moskauer Gericht meinte, ist alles andere als überzeugend. Schließlich richtete sich ihre politische (unter Gesichtspunkten des Geschmacks vielleicht problematische) Kritik ersichtlich gegen den Staatspräsidenten und gegen Patriarch Kyrill I. Die Religion wurde dafür lediglich verbal instrumentalisiert.

Wie würde nun ein solcher Auftritt in einer Kirche in Österreich strafrechtlich beurteilt werden? Natürlich kennen wir nicht den Tatbestand des Hooliganismus oder des Rowdytums – ein Überbleibsel des Sowjetrechts. Allerdings kann sich strafbar machen, wer in einer Kirche „auf eine Weise Unfug treibt, die geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen“ (§ 189 Abs.2 StGB). Ob die Aktion von der österreichischen Justiz so beurteilt würde, ist eine auf die Umstände des Einzelfalls bezogene offene Frage.

Selbst im Fall ihrer Bejahung würde aber eine geringe Sanktion (Erledigung durch den Staatsanwalt auf dem Wege der Diversion oder Verhängung einer Geldstrafe durch das Gericht) folgen. Von einer überstrengen Strafe wie in Moskau wäre das Lichtjahre entfernt. In Untersuchungshaft genommen würden die beschuldigten Frauen zweifellos nicht.

Geradezu perfider Vergleich

Eine allfällige Reaktion der österreichischen Justiz auf eine politisch motivierte Tanzperformance dieser Art in einer Kirche würde sich jedenfalls fundamental von der Vorgangsweise in Moskau unterscheiden. Erst recht ist der von Rechtsanwalt Vetter angestellte Vergleich mit österreichischen „Oppositionellen, die sich mit der Religion anlegen“ und deswegen „gern verurteilt werden“, krass verfehlt.

Der Autor zielt damit auf den hetzerischen „Mohammed – ein Kinderschänder“-Ausruf einer FPÖ-Abgeordneten vor der letzten Nationalratswahl. Diesen Vergleich könnte man beinahe als perfide betrachten. Er folgt nämlich dem bagatellisierenden Muster der von FP-Chef Heinz-Christian Strache kürzlich im Fernsehen vorgenommenen Einordnung des erwähnten hetzerischen Auftritts als „Meinungsdelikt“.

Öffentliche Hetze ist strafbar

Hätte die wegen des antiislamischen „Kinderschänder“-Sagers rechtskräftig wegen Verhetzung (§ 283 StGB) verurteilte Abgeordnete ihre „Meinung“ privat, im kleinen Kreis oder auch am Stammtisch geäußert, statt sie in einer Wahlveranstaltung vor laufenden Kameras in den Saal zu rufen, wäre sie strafrechtlich unbehelligt geblieben. Eine (in diesem Fall wirklich) gegen eine Religion gerichtete öffentliche Hetze solcher Art ist aber keine politische Kritik, sondern strafbares Verhalten, nicht nur in Österreich, sondern europaweit.

Umdeuten, relativieren, eugnen

International spricht man heute vielfach von „hate crime“. Hetze gegen ethnische oder religiöse Gruppen als bloße Meinung zu qualifizieren, entspricht – ebenso wie im Fall der sogenannten „Auschwitzlüge“ – dem von rechtsextremen Kreisen gewohnten Umdeuten, Relativieren und Verleugnen. Beabsichtigtes und gezieltes Hetzen soll mit dieser üblen Verdrehung der Tatsachen nachträglich verniedlicht und beiseite geschoben werden. Unschuldslämmer vom politisch rechten Rand werden ja ach so häufig missverstanden und „verfolgt“.

Herr Vetter wollte sich mit seinem unpassenden Vergleich wohl kaum in diese Gruppe einreihen. Eine juristisch differenziertere Sicht der Dinge würde man sich von einem Rechtsanwalt aber wünschen – und vom Präsidenten eines „Clubs unabhängiger Liberaler“ mehr liberale Sensibilität!

Verkannte politische Lage

Letztere lässt er leider auch bei der generellen Einschätzung Russlands vermissen, das er anscheinend für eine nur noch ein bisschen unzulängliche Demokratie hält, der man offenbar vieles zu verzeihen habe. Seine bei anderen konstatierte „Aversion gegen das heutige Russland“, in dem „ohne Putin die große Gefahr (besteht), dass die Kommunisten regieren könnten“, verkennt die heutige politische Situation des Landes und die autoritär-repressiven Maßnahmen des Langzeitpräsidenten nach seiner Wiederwahl grundlegend.

Dass sich dagegen bei der russischen Jugend und in einer wachsenden urbanen Mittelschicht zunehmend Widerstand regt, lässt hoffen. Dass Putin dem mit drakonischen Strafdrohungen, der Denunziation von Nichtregierungsorganisationen, die auch ausländische Unterstützung erhalten, als „Agenten“ usw. entgegentreten will, zeigt, dass er die Zeichen der Zeit nicht versteht, mit Angst reagiert und seiner KGB-Vergangenheit verhaftet bleibt.

Das opportunistische Bündnis mit einer in vordemokratischer Mentalität verharrenden orthodoxen Kirche wird ihm da auf die Dauer auch nicht helfen.

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.com

Prof. Dr. Roland Miklau (*1941 in Wien) ist Präsident der Österreichischen Juristenkommission und Mitglied des Menschenrechtsbeirats bei der Volksanwaltschaft. Er war von 1987 bis 2006 Leiter der Sektion für Strafgesetzgebung im Bundesministerium für Justiz und von 2007 bis 2010 Leiter der EU-Mission zur Unterstützung der Justiz Albaniens (Euralius) in Tirana. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2012)

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