Bedarfsheer mit Milizkomponente wäre sinnvoller und billiger

Gastkommentar. Angesichts der gegenwärtigen Bedrohungssituation wäre für Österreich eine Berufsarmee unnötig und geradezu anachronistisch.

Wir sind uns wohl alle weitgehend einig, dass man in Österreich gegenwärtig von einer als gering einzustufenden militärischen Bedrohungslage sprechen kann. Logischerweise ist daher ein teures, stehendes (Berufs-)Heer völlig unnötig und geradezu anachronistisch.

Schon jetzt sind die Personalkosten der zahlreichen Berufssoldaten viel zu hoch. Ein ranghoher Offizier hat einmal richtig formuliert: „Warum soll ich einen Soldaten 365 Tage im Jahr besolden, wenn ich ihn im Schnitt nur für ein paar Wochen zur einsatzorientierten Weiterbildung für den Bedarfsfall brauche.“

Es geht um die nachhaltige Sicherheit Österreichs, für die man ein einsatzfähiges Bedarfsheer braucht. Ein sinnvoll konzipiertes Heer ist demnach, wie im Versicherungsprinzip, durch aufwuchsfähige, gut ausgebildete Reservestreitkräfte – in Österreich „Miliz“ genannt – für verschiedene und zukünftig mögliche Bedarfsfälle zu planen.

Diese Bedarfskräfte sind hinsichtlich des Finanzierungsrahmens der Schlüssel zu einer wirtschaftlichen Lösung. Sinnvollerweise braucht man zusätzlich auch eine – allerdings entsprechend kleinere – Berufskomponente zur obersten Führung, Administration, Ausbildung und als „rapid reaction force“ für Ersteinsätze.

Klar formulierter Gesetzesauftrag

Wenn man von der Wehrpflicht abgehen will und sich ein kleines Berufsheer wünscht (siehe etwa den in der „Presse“ am 31. August erschienenen Gastkommentar von Erich Reiter), geht man daher deutlich an der Realität der Erfordernisse vorbei. Aber sogar Reiter geht in seinem Konzept von einer Aufwuchsfähigkeit aus, um notfalls die militärischen Kapazitäten wieder hochfahren zu können.

Wie man allerdings im Notfall plötzlich entsprechend ausgebildete Soldaten aufbieten will, die man ohne vorherige Wehrpflicht-Miliz gar nicht hat, blieb völlig unbeantwortet.

Die logischen und einsatzorientierten Gedankengänge hat auch das österreichische Parlament als Gesetzgeber gehabt und in der aktuell gültigen Bundesverfassung verankert: Das Bundesheer hat die militärische Landesverteidigung zu bewältigen und ist nach den Grundsätzen eines Milizsystems einzurichten (B-VG Artikel 79, Abs. (1); also nicht nur „milizartig“ oder gar nur mit einer kleinen freiwilligen Miliz, zusätzlich zu einem Berufsheer.

Es ist dies der klar formulierte Gesetzesauftrag, der von der Bundesregierung, inklusive Bundesminister für Landesverteidigung, zu vollziehen ist. Die jeweiligen Regierungserklärungen haben sich ebenfalls danach auszurichten. Die Verfassung ist insbesondere von Politikern getreulichst zu beachten und zu vollziehen.

Das normierte Milizsystem bedingt eine Formierung der Streitkräfte mit Masse als aufwuchsfähige und ausgebildete wehrpflichtige Milizkräfte im Zusammenwirken mit einer kleineren Anzahl von präsenten Berufssoldaten. Das bedeutet einen kurzen, verpflichtenden Grundwehrdienst und natürlich zusätzliche, periodisch wiederkehrende verpflichtende Milizübungen über einen längeren Zeitraum sowie verpflichtende Einsätze im Bedarfsfall. Das Personal dieser Bedarfsstreitkräfte ist demnach auch weit kostengünstiger, da es in der Masse eben nur bei Bedarf zu besolden ist.

Das Parlament hat deutlich gemacht, dass dieses Konzept der Schutz- und Verteidigungsmaßnahmen überwiegend als eine Gemeinschaftsaufgabe der Österreicher und nicht im Wege einer berufsmäßigen Einrichtung zu sehen und zu vollziehen ist. Diese Form des Milizsystems ist verfassungsgesetzlich fixiert und kann daher durch kein einfaches Bundesgesetz oder gar Verwaltungsregelungen geändert werden.

Derzeitige Wehrpflicht sinnlos

Die derzeitige Wehrpflicht von 6+0 Monaten ist weitgehend sinnlos. Sie ist verfassungswidrig und auch aus militärischer und einsatzorientierter Sicht die ungünstigste Form der Wehrpflicht. Nur für Rekruten im Grundwehrdienst vorgesehen, ist sie ein billiger Arbeitsdienst Auszubildender ohne der darauf folgenden Nutzung bei Wehrpflicht-Milizübungen und Einsätzen.

Was ist zu tun? Es gilt für die Aufgabenstellung des Bedarfsheeres eine entsprechend große Anzahl gut ausgebildeter und somit professioneller und leistungsfähiger beorderter Reservekräfte (=Miliz) sicherzustellen sowie eine zusätzlich integrierte kleine und leistungsfähige Berufskomponente. Es ist dies de facto die einzige auch ökonomisch ernstzunehmende Konzeption und sicherheitspolitische Strukturmaßnahme.

Die grundsätzlichen – auch präventiven – Kernaufgaben der militärischen Landesverteidigung zum Schutz der Bevölkerung im eigenen Land sind auch unser Beitrag zu einer EU-Verteidigung als notwendige europaweite Aufgabe der Mitgliedsländer. Zum Konfliktmanagement und zur Konfliktprävention in Europa brauchen wir eine Zone gleicher Sicherheit sämtlicher Mitgliedstaaten im EU-Inland im Sinne des Beistandes und der Solidarität der EU-Staaten bei Bedrohung ihrer Territorien.

Sicherung kritischer Infrastruktur

Die in der Verfassung normierte militärische Landesverteidigung als Spitzenaufgabe der Bedarfsstreitkräfte ist die Grundlage aller militärischen Strukturen und Fähigkeiten, um auch in anderen Bereichen den entsprechenden leistungsfähigen Schutz und Hilfe bieten zu können.

Dies sind die im Wehrgesetz zusätzlich vorgesehenen Einsätze für Schutz und Hilfe im Fall von Katastrophen, bei sicherheitspolizeilichen Assistenzleistungen oder auch bei Auslandseinsätzen im Rahmen internationaler Organisationen.

Dazu kommen militärische Sicherungsaufgaben für die kritische Infrastruktur von Regierungs- und Verwaltungszentren, Energiezentren und Energieleitungen, Wasserleitungen, Pipelines, Flughäfen, Bahnlinien, Verkehrswege und Verkehrsknoten, Medien etc. Ein stehendes kleines Berufsheer kann diese Schutzaufgaben nicht bewältigen.

Es gibt in Österreich laut amtlicher Zählung mehr als 1000 zu schützende Objekte. Diese sind – eben weil es keine ständige Bedrohung gibt – im Anlassfall von aufzubietenden Reservestreitkräften (Miliz) mit genauer Ortskenntnis – als notwendige Ergänzung und Verstärkung von Polizeikräften – zu sichern.

Präferenz für Wehrpflicht, aber...

Ähnliches gilt natürlich auch für Hilfeleistungen im Katastrophenfall. Und auch die im Auslandseinsatz befindlichen Personen sind überwiegend professionell tätige Milizstreitkräfte und nicht nur Berufssoldaten.

Bei der geplanten Volksbefragung ist daher eindeutig die Wehrpflicht zu präferieren – allerdings nur unter Einbeziehung der Wehrpflichtmiliz. Eine Beibehaltung von sechs Monaten Grundwehrdienst und null Monaten Milizdienst ist strikt abzulehnen. Treffen wir – die Politiker aller Parteien und das Volk – die richtige Entscheidung für ein sinnvolles, leistungsfähiges und finanzierbares Bundesheer.

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.comDr, Alfred C. Lugert ist Sozialwissenschaftler und Universitätslehrer an den Unis Salzburg, München und Wien. Er war Militärdiplomat bei den OSZE-Missionen in Bosnien und Herzegowina sowie in Kroatien. Mehrjährige Auslandseinsätze als österreichischer Reserveoffizier. Autor zahlreicher sicherheitspolitischer Publikationen. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2012)

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