Engagieren, nicht ausgrenzen

Die Ukraine zeigte zuletzt mehr Bereitschaft, mit der EU zusammenzuarbeiten. Europa sollte das honorieren.

Am 28.Oktober wählt die Ukraine ein neues Parlament. Das Land ist keineswegs perfekt und zuletzt unter Beschuss von Kritikern geraten. Dennoch glauben wir, dass Europas strategischen Interessen besser mit einer Politik des Engagements gedient wäre, die auf Reformen und eine künftige Erweiterung abzielt, als durch Ausgrenzen.

Die Ukraine stellt sowohl für Russland als auch für die EU einen gewaltigen geopolitischen Wert dar. Das Land ist das wichtigste Transitgebiet für einen großen Teil des Erdgases, das von Russland in die EU geliefert wird. Seine Bevölkerung war in der Vergangenheit mehrmals genauso Moskaus willkürlicher Mal-ja-mal-nein-Energieversorgungspolitik ausgeliefert wie auch einige Teile der EU.

Zugleich verstärkt der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch ungeachtet seines Rufs, früher Russland nahegestanden zu sein, nun die Zusammenarbeit mit der Nato. Er scheint jetzt auch entschlossen, sich für eine stärkere europäische Integration einzusetzen, wirtschaftliche und juristische Reformen zu fördern sowie das Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen. Kritiker der Ukraine verweisen auf die Verurteilung und Inhaftierung der ehemaligen Premierministerin Julia Timoschenko; sie möchten die Beziehungen der EU zur Ukraine von der Entlassung Timoschenkos aus dem Gefängnis abhängig machen.

Neues Wahlgesetz verabschiedet

Dazu ist anzumerken, dass es in diesem Fall bereits eine Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und der EU gibt. Das Europäische Parlament hat den ehemaligen polnischen Präsidenten Aleksander Kwaśniewski und den ehemaligen Präsidenten des Europäischen Parlaments, Pat Cox, nominiert, um den Fall zu überwachen.

Die Ukraine arbeitet mit ihnen in vollem Umfang zusammen. Darüber hinaus wurde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Berufung zu diesem Fall eingelegt, was ein weiterer Beweis für die Bereitschaft der Ukraine ist, der europäischen Rechtsstaatlichkeit zu entsprechen. Eine weitere Bestätigung für die enge Zusammenarbeit zwischen der EU und Kiew kann man in der jüngsten Verabschiedung eines neuen Wahlgesetzes sehen, das auf Empfehlungen des Europarates und auf einem europäischen Modell basiert. Das neue Wahlgesetz erhielt die Zustimmung von 80Prozent des Parlaments, wird von der Regierung wie auch der Opposition unterstützt, einschließlich der Partei von Timoschenko.

Europa hat seit 1945 wiederholt eine Politik des Engagements und der Partnerschaft gegenüber den Nachbarn praktiziert, die auf eine Stärkung der europäischen Werte und unserer Vision von Demokratie abzielte. Derzeitige Bestrebungen, die Ukraine zu isolieren und auszugrenzen, könnten zum gegenteiligen Ergebnis führen. Deshalb sind wir überzeugt, dass die richtige Antwort im Hinblick auf die Beziehungen zwischen der EU und der Ukraine auf jeden Fall Engagement, nicht Ausgrenzung ist.

Romano Prodi ist Ex-Präsident der Europäischen Kommission und früherer Ministerpräsident von Italien; Alfred Gusenbauer ist ehemaliger Bundeskanzler von Österreich.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2012)

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