Nichts gesehen, nichts gehört: Ein Klüngel namens ÖIAG

Wie man in der Österreichischen Industrieholding AG wieder mehr Rationalität und betriebswirtschaftliches Denken fördern könnte.

Ingenieur Rudolf Kemler, bisher „Filialleiter“ (© „Der Standard“) von Hewlett Packard in Österreich, wurde am 7. September zum Alleinvorstand der ÖIAG gewählt. Dipl. Ing Herbert Paierl wurde nicht gewählt, weil der Aufsichtsrat – im Sinne einer selbst gewählten Definition von Entpolitisierung – der Meinung war, dass ein Kandidat, der von einem Politiker vorgeschlagen wird, aus grundsätzlichen Erwägungen nicht genommen werden kann.

Das heißt im Umkehrschluss, dass ein Politiker jeden Kandidaten dann verhindern kann, wenn er ihn öffentlich unterstützt. Man fragt also nicht, wie gut jemand ist, sondern scheidet jene aus, die entweder selbst Politiker waren oder von einem Politiker empfohlen werden. Das war die „offizielle“ Begründung.

Der wahre Grund ist natürlich ein anderer: Herbert Paierl wurde deswegen nicht genommen, weil er – erstens – nicht in die in der ÖIAG gelebte Corporate Governance und Führungskultur gepasst hätte; und weil er – zweitens – eigene Vorstellungen und Ideen hat, die er im Sinne des Aktienrechtes (§ 70 AG Gesetz „der Vorstand hat unter eigener Verantwortung die Gesellschaft so zu leiten...“) auch umgesetzt hätte.

In der ÖIAG sollen nämlich einzelne Aufsichtsratsmitglieder direkt in das operative Geschäft eingreifen, wie zuletzt bei den doch sehr seltsamen Vorgängen um die Veränderung der Aktionärsstruktur bei der Telekom.

Eine „Clique“ als Kontrollorgan?

Mit dem ÖIAG-Gesetz 2000 wurde – wie bekannt – die Bestellung des Aufsichtsrates der ÖIAG in Abweichung vom Aktiengesetz in der Form geregelt, dass die Mitglieder des Aufsichtsrates nicht von der Hauptversammlung bestellt werden, sondern für eine einmalige Periode von acht Jahren von den Aufsichtsratsmitgliedern selbst ausgewählt werden. Diese Regelung wurde gewählt, um den parteipolitischen Einfluss zurückzudrängen oder auszuschließen.

Das mag gelungen sein. Doch was haben wir jetzt: Wir haben jenen Aufsichtsrat in der ÖIAG, von dessen zehn Mitgliedern als Kapitalvertreter acht Mitglieder in einem gegenseitigen Abhängigkeits-, Verpflichtungs- und Belohnungsverhältnis stehen, das schier unfassbar ist. In Köln bezeichnet man eine solche „Ingruppe“ als „Klüngel“, in der Kulturstadt Wien verwendet man eher das Wort „Clique“. Es stellt sich dabei die aktienrechtliche Frage, ob ein so besetzter und gegenseitig abhängiger Aufsichtsrat überhaupt noch unabhängig seinen Pflichten als Kontrollorgan nachkommen kann.

Es ist wirklich schade, wie unter Mitwirkung der Industriellenvereinigung (IV) die Idee eines politisch unabhängigen Aufsichtsrates in einem solchen Ausmaß pervertiert wurde, dass wir heute eine Situation haben, in der ein privater Freundeskreis ohne Rücksicht auf Eigentümerinteressen frei schalten und walten kann. Der unvergessliche Präsident der IV, Hans Igler, hat die verstaatlichte Industrie einst als Parteilehen bezeichnet. Heute glauben IV und Freundeskreis im Aufsichtsrat, der Lehensherr zu sein.

Die letzten zehn Jahre waren in der ÖIAG von Irrwegen geprägt. Beispiele: Man wollte die Telekom an die Swisscom verkaufen oder mit ihr verschränken; die Voestalpine sollte an Magna gehen (Deckname „Minerva“); 25 Prozent der Post wollte man an die Deutsche Post verkaufen; das Trauerspiel um den Verkauf der AUA schließlich ist allen noch gut in Erinnerung.

Kein Ruhmesblatt

Aufgabe der ÖIAG ist zurzeit (abgesehen von Fimbag und Bergbauholding) die Verwaltung von drei Beteiligungen an börsenotierten Unternehmungen (zwei Minderheitsbeteiligungen, eine Mehrheitsbeteiligung). Die Arbeit des Alleinvorstandes der ÖIAG besteht also darin, in diesen drei Gesellschaften der Aufsichtsratsvorsitzende zu sein.

Trotz dieser Fokussierung auf die Tätigkeit eines Aufsichtsratspräsidenten ist es – sozusagen unter den Augen der ÖIAG – bei der Telekom zum vielleicht größten Skandal der Zweiten Republik gekommen. Man hat nichts gesehen, nichts gehört, nichts gelesen.

Wirklich kein Ruhmesblatt, obwohl etwa Wilhelm Rasinger in jeder Hauptversammlung auf die hohen Beraterhonorare hingewiesen hatte. In der Zehnjahresbroschüre der ÖIAG steht stolz: „Im Bereich der Corporate Governance konnte die ÖIAG zweifellos einen der nachhaltigsten und langfristig wertvollsten Erfolge verbuchen. . .“

Auszahlung mit Vorbehalt

Man stelle sich vor, was dieselben Herrschaften, die jetzt sehr beredt zu diesem Skandal schweigen, gesagt hätten, wenn ein solcher in einer direkt dem Staat unterstellten Unternehmung geschehen wäre („Laienschauspieler“, „Politgünstlinge“ usw.).

Bei der Telekom kommt ja noch hinzu, dass der Aufsichtsratsvorsitzende die Bonifikation für den Vorstand und leitende Mitarbeiter genehmigt hat (wenn auch unter Vorbehalt), obwohl schon damals klar war, dass der Kurs manipuliert wurde (was damals nicht strafbar war). Anstatt zu den Begünstigten zu sagen: „Bitte klagen Sie“, hat man eine bürokratische Lösung der Auszahlung mit Vorbehalt gewählt.

Zuletzt sind wieder Überlegungen aufgetaucht, die ÖIAG durch Eingliederung von anderen Gesellschaften (Asfinag, ÖBB, Flughafen, Verbund, BIG, ÖBF) anzureichern. Es wurde sogar schon die „ÖIAG neu“ vorgestellt.

Der Verfasser dieses sogenannten Gutachtens will die ÖIAG in vier Divisionen teilen: Mobilität, Energie, Kommunikation und Immobilien. Bei der Mobilität wird gleich der Flughafen miteinbezogen, obwohl er zurzeit börsenotiert ist und zu je 20 Prozent den Bundesländern Wien und Niederösterreich gehört. Dies geschieht sicher nach dem Motto: Man soll sich eine schöne Grafik nicht durch die Realität zerstören lassen.

Weiters wird nicht zur Kenntnis genommen, dass die drei zurzeit im Eigentum der ÖIAG stehenden Firmenbeteiligungen Unternehmen sind, die börsenotiert sind und nicht zu 100 Prozent im Eigentum der ÖIAG stehen. Wenn man nun plant, einzelne Unternehmungen wie Post und Telekom zu einer virtuellen oder künstlichen Division oder Gruppe zusammenzufassen, frage ich mich, wo der Mehrwert und wo die Synergien für die beiden Unternehmungen liegen, wenn die ÖIAG ihre Aktienpakete unter einer solchen Division zusammenfasst?

Unsinnige Kasterlzeichnereien

Das schaut auf der Folie eines Beraters gut aus (und wurde sicher auch teuer bezahlt), ist aber völliger Unsinn. Wenn ich Aktionär dieser beiden Unternehmungen wäre, würde ich die Aktien sofort verkaufen, weil die Gefahr besteht, dass ein Aktionär (eben die ÖIAG) andere Interessen als die des Unternehmens verfolgt und diese Interessen womöglich durch die Mehrheitsverhältnisse im Aufsichtsrat auch durchsetzen will.

Es wird dann sicher in der ÖIAG einen Abteilungsdirektor „Kommunikation“ geben, der den Vorständen von Post und Telekom die Welt mit flotten Sprüchen aus der Beratersprache erklären wird. Weiters zeigen solche Kasterlzeichnereien, dass der Verfasser der Gleichbehandlung aller Aktionäre (§ 47a AG Gesetz) keine große Aufmerksamkeit schenkt, da dadurch der Eindruck entsteht, dass die ÖIAG bei der Weitergabe von Informationen besser behandelt wird als die anderen Aktionäre.

Was die Erfahrung alles lehrt. . .

Für besonders weltfremd halte ich den Vorschlag, einen Teil der Dividendenerlöse als Venture Capital für die Finanzierung junger, innovativer Unternehmen (Start-ups), einzusetzen. Die Erfahrung hat doch gelehrt, dass eine staatliche Gesellschaft für solche Aktivitäten völlig ungeeignet ist, weil es tausend Interventionen von Leuten geben wird, die zwar nicht ihr eigenes Geld einsetzen, aber hundert Vorschläge haben, wo und wie das Geld einzusetzen wäre. Beim ersten Flop würde die Suche nach Schuldigen losgehen.

Venture Capital funktioniert aber nur, wenn der Investor sein eigenes Geld einsetzt und nicht mit fremdem Geld spielt. Anders ausgedrückt: Der, der investiert, muss sein eigenes Geld einsetzen und nicht das Geld des Staates. Es wundert mich, wie eine IV solche Vorschläge überhaupt erwägen kann, wo doch in der Marktwirtschaft Risiko, Ertrag und Verantwortung genau zugeteilt werden.

Leider gilt auch für die IV der alte marxistische Lehrsatz: Das Sein prägt das Bewusstsein. Nach dem Motto: Wenn man schon ein Spielzeug namens ÖIAG hat, dann bitte alles unter dieses Dach. Und wir ziehen dann – natürlich entpolitisiert, parteifrei und nur dem Wohl des Unternehmens verpflichtet – die Strippen und lassen die Puppen tanzen.

ÖIAG-Gesetz ist zu novellieren

Mein Vorschlag daher: Das ÖIAG-Gesetz ist so zu novellieren, dass der Aufsichtsrat wieder (wie im Aktiengesetz) von der Hauptversammlung (also vom entsprechenden Eigentümervertreter) gewählt wird. Man könnte in Abänderung zum Aktiengesetz vielleicht überlegen, den Aufsichtsrat auf sechs Jahre zu bestellen und eine Wiederwahl auszuschließen.

Dadurch würden die Aufsichtsräte eine größere Unabhängigkeit gegenüber der Politik und dem bestellenden Organ haben und müssten nicht vor Ablauf einer Periode bei jeder Handlung überlegen, ob diese einer Wiederbestellung auch förderlich ist.

Auch ein Börsengang der ÖIAG würde dort mehr Rationalität und betriebswirtschaftliches Denken fördern.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2012)

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