Die sittenlose Republik: Österreich muss raus aus Korruptionseck

Statt offen und transparent zu handeln, wurde und wird gemauschelt und auf Kosten des Steuerzahlers sehr unsauber agiert.

Vertrauenskrise, Vertrauensschwund, der freie Fall der Rechtsakzeptanz und der Politik sind primär Fragen der Kultur. Das große Bild lässt sich wie folgt zeichnen:

Die Unkultur, die ich meine, hat mit den Wasserträgern ab der Regierungsbildung im Jahr 2000 einen Tiefpunkt erreicht. Der Dammbruch erfolgte mit der blau-schwarzen Koalition der Schüssel-Ära: Die Politik hat in dieser Zeit aus Partikularinteressen heraus immer wieder teils nicht ausreichend befähigte, teils kriminelle, teils bloß willfährige Personen in staatsnahe Führungspositionen in Politik, aber auch in Unternehmungen, Vereinen und in öffentlich-rechtlichen Körperschaften angezogen.

Bei den Rechtsgesprächen in Alpbach hat der frühere griechische Außenminister Dimitris Droutsas über sein Land gesagt, die Politik habe jahrelang die falschen Signale ausgesendet – nämlich: Klientelismus sei okay, und: Es wird niemand für Fehler zur Verantwortung gezogen werden. Österreich war lange Zeit nicht so anders. Dieses Selbstverständnis hat die Arbeitsweise vieler Entscheidungsebenen in staatsnahen Sektoren in den letzten Jahren geprägt.

Mangelndes Unrechtsbewusstsein

Statt offen und transparent zu handeln, wurde und wird gemauschelt und auf Kosten des Steuerzahlers sehr unsauber agiert. Interessenkollisionen sind gang und gäbe, werden geduldet, sind aber eine Vorstufe zur Korruption. Sie trüben den Blick und führen dazu, dass sich kein Unrechtsbewusstsein entwickeln kann.

Die politische Kontrolle versagt völlig. Die Grünen wurden ausgehungert und kleben an ihren wenigen Sesseln. Funktionäre/Sekretäre der SPÖ wurden im öffentlichen Sektor und in privatisierten und „autonomen“ Bereichen mit gut dotierten Posten versorgt und ruhiggestellt. Es gibt auch keinen ausreichend unabhängigen und kritischen Journalismus. Geschäftspolitische Händel statt tragfähige und korrekte Arbeitsbeziehungen sind an der Tagesordnung. In staatsnahen Unternehmungen und Einrichtungen ist eine Selbstbedienungsmentalität anzutreffen, die haarsträubend ist.

Ausbleibende Konsequenzen

Mögen viele der von mir adressierten „kulturellen“ Erscheinungsformen strafrechtlich durchgehen, so darf dennoch nicht sein, dass eine solche Mentalität von einzelnen Entscheidungsträgern hingenommen und das Sesselkleben dieses Personenkreises zugelassen wird und Konsequenzen ausbleiben.

Es bedarf einer Formalisierung der politischen und wirtschaftlichen Einflussnahmen, die (via Ministerkabinette, Aufsichtsräte, Universitätsräte etc.) auf die Hoheits- und Privatwirtschaftsverwaltung, auch im öffentlichen Bildungssektor ausgeübt wird. Eine Verwaltungsreorganisation ist überfällig. Die Rolle der überdimensionierten Kabinette ist zu überdenken, eine Stärkung der Gemeinden und ein Rückbau der Länder sind ein Gebot der Stunde. Und: volle Transparenz auf allen Ebenen!

Die Justiz muss schneller arbeiten und die vielen Verfahren auf den Boden bringen. Die Weisungsspitze im staatsanwaltlichen Bereich gehört geändert – ein weiteres Hinauszögern dieser notwendigen Strukturreform ist nicht mehr zu verantworten.

Österreich muss raus aus dem Korruptionseck. Die Bundesregierung hat daher eine Komplianz-Initiative zu starten, Teile des „Wasserträger-Managements“ in staatsnahen Bereichen sollten radikal ausgetauscht und politisch zur Verantwortung gezogen werden. Strafgerichtliche Verurteilungen bewirken nur insoweit etwas, als sie öffentlichen Manipulationen und Verdrehungen in Einzelfällen den Garaus machen.

Richard Soyer ist Professor für Strafrecht an der Johannes-Kepler-Uni Linz und Rechtsanwalt in Wien.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2012)

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