Entschuldigt euch gefälligst bei Elke Kahr!

Erwiderung auf „Sag Opa, war Josef Stalin eigentlich ein früher Pionier des Mieterschutzes?“, von Christian Ortner.

Nehmen wir einmal an, in Graz hätte eine christliche Partei die Wahlen gewonnen und ein Kommentator hätte daraufhin davor gewarnt, dass bald Kreuzzüge Richtung Jerusalem aufbrechen würden, um dort wie schon einstens Massenmorde anzurichten.

Nehmen wir an, der Kommentator hätte den christlichen Kandidaten in die Nähe der NSDAP gerückt und Christentum und Nationalsozialismus verglichen. Es wurden ja im Namen beider millionenfache Massenmorde verübt. Es gibt im Christentum ja auch eine antisemitische Tradition . . . Nehmen wir an, der Autor hätte daher christliche Hilfsorganisationen wie die Caritas mit der Hamas gleichgesetzt und gefragt: Ist die Hamas denn keine Terrororganisation mehr, nur weil sie soziale Hilfswerke betreibt? „Die Presse“ hätte einem solch wirren Machwerk wohl keinen Millimeter Raum für einen Kommentar gewidmet.

Zu Recht. Solchen Müll sollte keine Qualitätszeitung drucken. Aber „die Presse“ hat es getan. Nur ging es nicht um das Christentum, sondern um den Kommunismus. Diese Zeitung druckt tatsächlich einen Kommentar, in dem die demokratische Kandidatin Elke Kahr mit NSDAP-Massenmördern und Grazer Mietpolitik mit Stalinismus und der Hamas verglichen wird. Gut, der Autor war nur Christian Ortner, aber trotzdem: Das geht nicht.

>>Der Gastkommentar von Christian Ortner: Sag Opa, war Josef Stalin eigentlich ein früher Pionier des Mieterschutzes?

Ja, im Namen des Kommunismus haben einige der größten Verbrecher und Verbrecherregime der Geschichte geherrscht, unzweifelhaft wurden millionenfache Massenmorde verübt. Manche Varianten wie der Stalinismus sind schon in der theoretischen Konzeption glasklar diktatorisch und verbrecherisch. Alles unbestreitbar und unbestritten.

Aber doch ist der Kommunismus keine Sekunde mit dem Nationalsozialismus gleichzusetzen. Der Kommunismus ist eine kollektivistische Ideologie, die hochgradig diktaturanfällig ist – aber weder Diktatur noch Massenmord sind Ziel und Zweck der Ideologie. Wer Marx oder seine Vorgänger liest, wird keinen Wunsch nach der Vernichtung von Menschen erkennen, sondern das Ziel ihrer Befreiung.

Natürlich wurde Marx missbraucht. Kann jedem Autor passieren, auch Evangelisten. Das Christentum ist ja eine Religion der Liebe, das geht für viele aus dem Neuen Testament zweifelsfrei hervor. Na, zumindest fast zweifelsfrei, da ist der Spruch mit dem Schwert im Matthäusevangelium, den man sehr leicht als Gewaltaufruf interpretieren kann und der immer „richtig“ interpretiert werden muss . . . „Die Presse“ würde den oben skizzierten Kommentar wohl mit einer Begründung wie dieser ablehnen: „Morde im Namen des Christentums waren ein Missbrauch dieser Religion, während die Morde im Namen des Nationalsozialismus geradezu Sinn und Zweck dieser Ideologie waren. Es ist ganz klar, dass sich ein christlich(-sozial)er Bürgermeister nicht für Morde christlicher Fundamentalisten in der Vergangenheit verantworten muss.“

Man kann Christ sein, ohne Kreuzzüge veranstalten zu wollen und man kann Kommunist sein, ohne Dissidenten erschießen zu wollen. Aber man kann kein Nazi sein, ohne Menschen in Rassen einzuteilen und die Vernichtung der Minderwertigen zu fordern.

Der Holocaust, die industrielle Vernichtung von Menschen aus rassistischen Motiven, war dem Nationalsozialismus inhärent, er war und ist Ziel und Zweck dieser Ideologie, keine spätere Pervertierung. Das mit Grazer Mietpolitik in einen Zusammenhang zu bringen, beleidigt die Opfer des Nationalsozialismus – und die des Stalinismus auch. Christian Ortners Kommentar ist Müll und eine unglaubliche Frechheit der unbescholtenen Demokratin Elke Kahr gegenüber.

Herr Ortner ist ein intellektuelles Wrack, sich über ihn aufzuregen, lohnt sich nicht. Aber wie kann so was in dieser Zeitung in Druck gehen? Lesen die Gastkommentare nur noch Praktikanten? Entschuldigt euch gefälligst bei Elke Kahr.

Michel Reimon,
7000 Eisenstadt

Der Autor ist Kommunikationsberater und Politiker. Er war Spitzenkandidat der Grünen bei der Landtagswahl im Burgenland 2010 und ist derzeit burgenländischer Landtagsabgeordneter.

("Die Presse" Printausgabe vom 6.12.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.