Von Arbeitssklaven und bibbernden Flüchtlingen

Persönliche Beobachtungen und Erlebnisse während der angeblichen Zeit der Besinnung und der Saison der feuchten Kälte.

Es tut mir leid“, sagt der junge flotte Installateur und zuckt mit den Schultern, „aber ich muss Ihnen die Gasheizung sperren. Es besteht Lebensgefahr. Eine neue Gasheizung kostet eh nur 2200 Euro.“
Dann erklärt er mir ausführlich die Schließzeit, die bei dem schönen alten Ofen mit Keramikfliesen und Marmorplatte drei Minuten beträgt statt der gesetzlich vorgeschriebenen 25 Sekunden. Er hätte diese Woche schon einen Unfall gehabt mit einer Stichflamme von drei Metern – und er zeigt die versengten Haare auf seinem Arm her.

Am nächsten Tag verlange ich von der Firma einen anderen Installateur. Denn wer kann wissen, ob dieser junge Mann nach seinem Unfall nicht zu einer „Drama Queen“ geworden ist? Ich besitze nicht einmal eben so 2200 Euro. Beleidigt ruft mich der junge Mann tags darauf am Handy an: „Warum haben Sie gesagt, dass ich mich aufrege. Ich komme nicht mehr zu Ihnen.“

Unnötiger Stress


Der zweite Installateur läuft schnaufend herein, schmeißt sich vor die Heizung, haut sich den Finger an und verzieht das Gesicht vor Schmerzen. Meinetwegen muss er sich nicht so einen Stress machen, sage ich. „Sie kennen unseren Chef nicht“, ruft er im Knien und hält den blutigen Finger in die Höhe. „Wir sind Sklaven! Wir sind versklavt, aber wer eben nichts anderes hat, muss sich versklaven lassen.“

Nach einer flammenden Rede repariert er wortlos mein Gerät. Neuer Zündbrenner, neue Kabel, Kostenpunkt 250 Euro, Schließzeit 15 Sekunden. „Schöne Grüße an Ihren Chef, aber passen Sie nur auf“, sage ich zum Installateur, „mein letzter Installateur Stojan besitzt zwar drei Häuser in Kroatien, seine Tochter studiert, aber er bekam schon mit vierzig Jahren Krebs. Immer dieses aufs Ohr gesteckte Handy und der Stress . . .“

Der Installateur schaut ungläubig, er hat immerhin schon zwanzig Dienstjahre auf dem Buckel, ab dem fünfzehnten Lebensjahr musste er schuften. „Wer nichts hat“, sagt er wieder, „ist ein Sklave. Das ist einfach so.“ Dann rennt er hinaus.

Zu Fuß nach Wien


Schauplatzwechsel: Meinem Fotografen treibt es die Tränen in die Augen, als wir vor der Oper die mageren, kleinen Flüchtlinge in den dünnen Jacken sehen, die über 30 Kilometer von Traiskirchen zu Fuß nach Wien gegangen sind. „Jetzt muss die Regierung aber etwas für uns tun, nachdem wir das geschafft haben. Das muss sie wirklich beeindrucken“, ruft ein Flüchtling, der ziemlich eingefroren aussieht und sicher unter 18 Jahre alt ist.
Andere sind kaum ansprechbar, schleppen sich erschöpft vorwärts. Unsere Schulwandertage in Kärnten machten – nur zum Vergleich – nie mehr als 20 Kilometer aus. „Wie kann man Flüchtlingen so ein Leben zumuten?“, denke ich und schaue mir die Schlapfen, Halbschuhe und Sandalen an. Keine Mützen oder Hauben.

Die Österreicher kaufen sich Getränke und warmes Essen am Würstelstand, ein Flüchtling schaut in seine schöne, aber leere Brieftasche hinein. Das Zeltcamp zwischen der Wiener Universität und der Votivkirche, dem Endpunkt der Wanderung, ist dunkel – es gibt keine Wärmemöglichkeit, kein Licht, keine WC-Anlagen.

Wenigstens geht die Heizung


Der Wind bläst eisig, die Wiese ist feucht von unten. Eine Gruppe junger pakistanischer Flüchtlinge bedankt sich, dass die Chefin eines Wiener Lokals Essen gebracht hat. Die Jungs scherzen herum und sind guter Laune, bibbern aber vor Kälte.

Die Angina, die ich bei der Flüchtlingsdemonstration aufreiße, dauert eine Woche. Wenigstens geht die Heizung wieder.

Kerstin Kellermann ist freie Journalistin, unter anderem schreibt sie für die Obdachlosenzeitung „Augustin“.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

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