Von zwei Oberhirten, blökenden Schafen und geschröpften Bauern

Wir brauchen ein Mischwahlrecht und Volksabstimmungen über Fragen, deren Beantwortung die Befragten nicht überfordert.

Ich klage an: Die Parteien, die unsere Demokratie in eine Parteiendiktatur verwandelt haben, ähnlich der Hierarchie der katholischen Kirche – in der Koalition allerdings mit zwei Oberhirten (Bundes- und Vizekanzler), einigen Hirten (Ministern), blökenden Schafen (National- und Bundesräten) und den sie mit Heu (Steuern) fütternden Bauern (dem Wahlvolk); ein System, das dies ermöglicht, indem es den Parteien gestattet, ihre Kandidaten für die Wahlen aufzustellen.

Die Idee, dass der Bundesrat überflüssig ist, nichts bewirkt, nur Kosten verursacht und deshalb abgeschafft werden sollte, wurde schon öfters ventiliert. Nicht aber der Vorschlag, auch den Nationalrat aufzulösen, da er nichts weiter als ein Vollzugsorgan ist und nicht wie vorgesehen ein Kontrollorgan der Regierung. So wurde er degradiert zu einem Debattierklub und einer Abstimmungsmaschine.

Kommen die Vorschläge für neue Gesetze von der Regierung, wird automatisch für sie gestimmt, da gewöhnlich Klubzwang herrscht. Sollte es jemand wagen, dagegen zu stimmen, wird er bei der nächsten Wahl einfach nicht mehr aufgestellt.

So weit die traurige Diagnose. Nun zur daraus folgenden Therapie: Umfragen unter Freunden und Bekannten haben ergeben, dass sie kaum oder überhaupt nicht wissen, wer sie im Parlament vertritt. Ich selbst kenne nur einen Abgeordneten – auch nur, weil er Direktor an einem Feldkircher Gymnasium war und verbissen für die Gesamtschule kämpft.

Bitte ein Mehrheitswahlsystem!

Wir sind weit von einer der ältesten Demokratien entfernt, wo jeder seinen Vertreter kennt. „My man/woman in Westminster“ ist keine leere Phrase. Er/sie ist an den Wochenenden meist im Wahlbezirk, um mit den Wählern über ihre Anliegen zu sprechen. Also bitte ein Mehrheitswahlsystem! Es ist dabei interessant, dass viele meiner englischen Bekannten ihr Wahlrecht als unfair empfinden, da auch ein knapper Sieg mit relativer Mehrheit genügt („winner takes all“) und somit alle anderen Stimmen nicht zählen.

Das Beispiel Zwentendorf

Logischerweise würde sich eine Mischung aus den beiden Systemen empfehlen: Jeder Wahlkreis wählt seinen Vertreter und hat die Möglichkeit, mit einer zweiten Stimme eine Partei zu wählen, die dann ihre Kandidaten ins Parlament entsenden kann. Der Bundeskanzler würde vom Parlament gewählt werden, das auch die von ihm vorgeschlagenen Minister genehmigen müsste.

Das wäre besser als das von den Parteien vorgeschlagene Mäntelchen der direkten Demokratie in Form von Volksabstimmungen, bei denen es oft um Fragen geht, deren Beantwortung die Befragten überfordert. Negativer Höhepunkt war in dieser Hinsicht die Abstimmung über Zwentendorf. Da ich nicht wusste, ob ich dafür oder dagegen stimmen sollte, rief ich einen Verwandten, Universitätsprofessor für Atomphysik, an und bat ihn, mir zu helfen. Er musste gestehen, dass er selbst nicht wusste, wie er stimmen sollte.

Das Volk, das sicher viel weniger informiert war, entschied sich dagegen – nicht gegen das Kraftwerk, sondern gegen einen überheblichen Bundeskanzler, der mit seinem Rücktritt gedroht hatte.

Abstimmen müssen hätte man über die Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre oder über die Erhöhung der Zuwendungen an die Parteien, was man wohlweislich nicht tat. Langer Rede kurzer Sinn: Wir brauchen ein Mischwahlrecht und Volksbefragungen oder -abstimmungen über Fragen, deren Beantwortung die Befragten nicht überfordert.

Anton Haunschmid (*1937 in Freistadt, OÖ.) studierte Anglistik und Germanistik in Wien und war 35 Jahre Professor am PG Mehrerau.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.12.2012)

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