Ein Salzburger Märchen: Unsere verschwundenen Millionen

Warum Gebietskörperschaften ordnungsgemäß bilanzieren müssen: Ein Beitrag zu einer sachlichen Debatte.

Die dunkle Zeit des Jahres ist doch ideal für das Erzählen eines Salzburger Wintermärchens. Und das geht so: Zuerst wird bekannt, dass das Land Salzburg über 340 Millionen Euro mit derivativen Finanzgeschäften verspekuliert hat, kurz danach kommt ans Licht, dass der Verbleib von noch viel mehr, nämlich rund einer halben Milliarde Euro, schlichtweg nicht klar ist. Wo das Geld geblieben ist, kann derzeit niemand beantworten. Am Ende könnte es heißen, das Geld wurde einfach weggezaubert. Aber das Wintermärchen ist eigentlich eine Horrorgeschichte, die zeigt, wie verantwortungslos mit dem Geld der Steuerzahler umgegangen wird.

Schreiben wir den Verantwortlichen, aber auch allen anderen, die sich am Roulettetisch mit unserem Steuergeld versuchen, ins Stammbuch: Wo mehr Gewinn versprochen wird, steckt mehr Risiko drinnen. Das ist eine eherne Regel im Wirtschaftsleben. Auch sonst gibt es Regeln in der Wirtschaft, für die sich Politik und Verwaltung interessieren sollten. Jeder Kleinunternehmer hat zumindest eine Einnahmen-Ausgaben-Rechnung zu führen. Monatlich sind Umsatzsteuervoranmeldungen zu erstellen und Umsatzsteuer an das Finanzamt abzuführen. Dies bedarf daher einer zumindest monatlichen Aufbuchung der Geschäftsfälle. Darüber hinaus ist ein Anlageverzeichnis zu führen, aus dem ersichtlich ist, über welche Vermögensgegenstände der Steuerpflichtige verfügt.

Strengere Aufzeichnungsregeln

Größere Unternehmen haben umfangreichere Aufzeichnungen zu führen. Sie haben einen Jahresabschluss, der eine Bilanz (Vermögensaufstellung), eine Gewinn- und Verlustrechnung und einen Anhang beinhaltet, zu erstellen.

Da findet sich auch Interessantes. Seit 2004 haben Unternehmer nach §237a Unternehmensgesetzbuch (UGB) eine detaillierteste Aufstellung aller derivativen Finanzgeschäfte zu erstellen, weil der Gesetzgeber (!) erkannt hat, dass es sich hier um einen besonders riskanten Bereich handelt, der einer umfangreichen Berichterstattung bedarf.

Eine gleiche Regelung für öffentliche Haushalte hätte in Salzburg sofort Klarheit geschaffen – vermutlich wäre es gar nicht so weit gekommen. Denn in §237a UGB wird vorgeschrieben, für jede Kategorie derivativer Finanzinstrumente Arten und Umfang der Finanzinstrumente penibel aufzulisten – inklusive Warentermingeschäfte. Auszuweisen ist auch der Zeitwert der Finanzinstrumente, wenn kein Marktwert feststellbar ist, die zur Anwendung gekommenen Bewertungsmethoden zur Ermittlung der Zeitwerte, Gründe für das Unterlassen einer Wertberichtigung und so weiter.

Zweck aller dieser Regeln für Klein- wie Großbetriebe ist der Schutz der Gläubiger, die Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Steuer und vor allem die Informationsfunktion für den Eigentümer. Nicht zuletzt wird immer öfter die Forderung erhoben, dass auch kleine Unternehmer aus Kontrollgründen einen Jahresabschluss zu erstellen haben sollten. Werden diese Regeln nicht eingehalten, droht Ungemach: Ärger mit Steuerfahndern, Zwangsstrafen des Firmenbuches, Besuch der Wirtschaftspolizei. Aber selbst Private sind vor Aufzeichnungspflichten nicht gefeit. Auch im außerbetrieblichen Bereich sind Aufzeichnungen über die Entwicklung des Kapitalvermögens zu führen, wenn zum Beispiel über ausländische Wertpapierdepots gehandelt wird, die der Finanz offenzulegen sind.

Kein Überblick über Geld

All das gilt aber scheinbar nicht für jene, denen die Verwaltung unserer öffentlichen Gelder anvertraut ist. Nicht für die Gemeinden, nicht für die Länder. Nur bei diesen ist es möglich, dass die für die Landesfinanzen Verantwortlichen öffentlich vorbringen können, dass sie nicht für die Buchhaltung zuständig wären, nicht den Stand der Veranlagung kennen würden. Und niemand weiß, in welche Produkte veranlagt wurde.

Nur hier ist es möglich, dass hunderte Millionen zeitweilig „spurlos“ verschwinden. Oder sind sie vielleicht endgültig verschwunden und keiner will es wahrhaben? Jeder Finanzmanager eines Unternehmers, der eine vergleichbare Rechtfertigung gegenüber seinem Eigentümer vorbringt, würde fristlos entlassen werden und könnte sich weiter mit dem Staatsanwalt unterhalten. Jeder CFO eines börsenotierten Unternehmens müsste sich wegen Untreue und Bilanzfälschung verantworten.

Noch viel beklemmender, als dass Geld verloren worden ist, ist, dass hier überhaupt kein Überblick besteht, wo das Geld hingeflossen ist. Als Bürger und Steuerzahler kann man sich nur fürchten. Zahlen wir vielleicht Steuern, und die Verantwortlichen wissen nicht, was sie mit unserem Geld tun, wo es ist? Es könnte der Gedanke entstehen, es wäre vielleicht besser, bis zur Aufklärung die Steuern nicht an die Finanz zu übermitteln, sondern auf ein Treuhandkonto zu legen, um weiteren Schaden zu verhindern.

Tatsache ist: Mangelnde Aufzeichnungspflichten führen zu mangelnden Kontrollmöglichkeiten. Mangelnde Kontrolle macht erst möglich, dass die von den Vertretern internationaler Veranlagungsspezialisten als „Muppets“ charakterisierten Regionalpolitiker im Verbund mit unerfahrenen Beamten den „Smartest Guys in the Room“, den angloamerikanischen Investmentbankern, auf ihre angepriesenen Produkte immer und immer wieder reingefallen sind (nachzulesen beispielsweise im aktuellen Bestseller „Die Unersättlichen“ von Greg Smith). Am Ende hat es – wie immer in der Republik – keiner gewusst – oder wahrhaben wollen.

Was lernen wir daraus?

Ein Schelm, der meint, es handle sich tatsächlich um eine Verquickung ungünstiger Umstände und nicht um das Versagen einer ganzen Verantwortungskette. Ein Versagen, das durch die lockeren Rahmenbedingungen im Umgang mit unserem Steuergeld noch begünstigt wird.

Was lernen wir aus dem Salzburger Wintermärchen? Die Frage nach dem Kompetenzumfang im Umgang mit unserem Steuergeld auf den jeweiligen Ebenen der föderalen Struktur ist tabulos zu stellen und vorbehaltslos zu diskutieren.

Weiters müssen für die öffentlichen Hände aufgrund der Summen, die involviert sind, und da es sich um unser aller Eigentum handelt, noch erheblich strengere Aufzeichnungs- und Offenlegungspflichten gelten als für Unternehmen.

Gebietskörperschaften haben von der Kameralisitik Abschied zu nehmen und wie alle Unternehmen zu bilanzieren inklusive einer detaillierten Berichterstattung über alle veranlagten Finanzprodukte. Die Bilanzen sind zeitgerecht offenzulegen. Als „Eigentümer“ wollen wir schließlich wissen, wo „unser“ Geld ist.

Denn was in der sozialen Marktwirtschaft für Bürger und Unternehmen gilt, hat erst recht für den Staat selbst zu gelten. Politik und öffentliche Verwaltung müssen Vorbildwirkung haben. Daran führt in der Zukunft kein Weg vorbei.

Zur Person


E-Mails an: debatte@diepresse.comDr. Harald Mahrer, geboren 1973, studierte Betriebswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien. Der heute in unterschiedlichen Branchen tätige Unternehmer gründete den Thinktank demokratie.morgen, das Metis Institut für ökonomische und politische Forschung und ist Präsident der Julius-Raab-
Stiftung. [Jenis]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2013)

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